„Das hat Spaß gemacht!“

…erklärte mir der Junge, der am Dienstag zum ersten Mal zum Malen da war, mit leuchtenden Augen und strahlendem Gesicht.

Der zwölfjährige war als Extremfrühchen geboren und hat noch immer mit Entwicklungsverzögerungen als Spätfolge zu tun. Dazu kommen soziale Probleme. Er ist ein eher stiller, braver Junge, der in einer lebhaften Klasse untergeht und oft durch die Unruhe der anderen mitgestraft wird. Anschluß findet er nur schwer, wird auch häufiger ausgelacht oder gehänselt. Intellektuell und kognitiv ist er seinem Alter voraus, körperlich gehört er zu den Kleinsten der Klasse.

Vor kurzem starb auch noch der Opa, der ihm eine sehr wichtige Bezugsperson war.

Er musste sich ziemlich überwinden, das Malen auszuprobieren, denn durch den schulischen Kunstunterricht gab es schon frustrierende Erlebnisse, er bemüht sich und kann nicht so, wie es erwartet wird. Nur weil der beste Freund schon seit längerer Zeit bei mir malt, wollte er es dann doch auch ausprobieren.

Schon gleich zu Beginn, nachdem ich ihm die Atelierregeln erklärt hatte, eröffnete er mir „Das find ich total gut, dass nix über die Bilder der anderen gesagt werden darf – in der Schule lachen sie mich aus“.

Nach einer halben Stunde (die Kirchturmuhr schlug), stellte er fest, dass die Zeit soooo schnell rumgeht und bedauerte es, dass die Maleinheit ’nur‘ eine Stunde geht.

Beim Malen zeigten sich schon Unterschiede in den Bildern der beiden fast gleichaltrigen Jungs. Wenn ich aber an das erste Bild des anderen Jungen zurückdenke, liegt das auch in der Übung begründet.  Zwischen den beiden war das aber überhaupt kein Thema, jeder konnte sich am Bild des anderen genauso freuen, wie am eigenen. Beide haben in der Stunde ein Bild fertigbekommen, zum Schluß erzählten sie die Geschichte zu ihrem Bild. Sie waren sehr zufrieden mit ihren Bildern und es ging ihnen richtig gut damit.

Mir zeigten sich erste Ansatzpunkte im Bild, die ich im Auge behalten werde.

Und nächste Woche kommt er wieder…

Wahrnehmungsstörungen, Entwicklungsverzögerungen…

Greif zu!

…sind nur zwei Indikationen, bei denen für Kinder das freie Malen förderlich sein kann.

Auch bei Sprachproblemen, Schlafstörungen, Ängsten, ADS/ADHS, Dyskalkulie, Legasthenie, körperlichen Handicaps und vielen anderen ist das Malen eine wertvolle Unterstützung zu den dann angewandten Therapien.

Warum? Auf der einen Seite fördert es die Integration der Hirnhälften. Auf der anderen Seite gibt es die Möglichkeit, im geschützen Malraum, Gefühle zu äußern. Frustrationen, die als Folge der ursprünglichen Störungen auftreten, können so verarbeitet werden. Durch die kritikfreie Atmosphäre gibt es Erfolgserlebnisse, die das Selbstbewusstsein stärken. Noch mehr Argumente dafür sind hier zu finden.

Das Malen ersetzt aber keineswegs eine Ergotherapie oder Logopädie und natürlich schon gleich gar nicht den Arztbesuch. Es kann aber diese Therapien verstärken und unterstützen. Generell schadet es bei keinem Kind.

Und wenn das Kind nicht gern malt? Gerade dann lohnt sich ein Schnupperbesuch im Atelier, denn durch die spezielle Atmosphäre und die anregenden Materialien finden die meisten Kinder doch Spaß daran.

Raumentwicklung bei Kinderbildern

Aus den parallel auftretenden Körper- und Geist-Ego-Bildern entwickelt sich die räumliche Darstellung und gleichzeitig auch die Gestaltung des Raumes. Aus den Einzelelementen wird eine gestalterische Gesamtheit.

geist ego raum1
Geist-Ego – Anfänge der Raumentwicklung
geist-ego-raum2
Fortgeschrittene Raumentwicklung in Geist-Ego-Bildern

Bei den reinen Geist-Ego-Bildern (sehen, denken, malen) wachsen Himmel und Boden zusammen. Anfangs willkürlich (wie Pulspunkte) in den Raum gestellte Elemente passen sich in Größe und Position der Umgebung an.
Diese Form der Raumentwicklung ist in der Praxis eher selten zu finden.

Häufiger entwickelt sie sich aus den Körper-Ego-Bildern (sehen, hineinfühlen, malen) in zwei möglichen Formen – als Zentralrabattement oder Achsialrabattement. Beim Zentralrabattement sind die Objekte um ein Zentrum herum angeordnet, beim Achsialrabattement an einer Achse entlang.

Körper-Ego-Bild im Achsialrabattement – Anfang der Raumentwicklung
Körper-Ego-Bild im Achsialrabattement – fortgeschrittene Raumentwicklung: die Bäume richten sich auf!

Im Verlauf der Entwicklung richten sich die Objekte auf bis hin zur realistischen räumlichen Darstellung.
Da bei vielen Erwachsenen dieser Prozess nie abgeschlossen wurde, treten derartige Darstellungen auch in Erwachsenenbildern noch oft auf und werden häufig als stimmig betrachtet.

Wenn Kinder trauern

november

Auch Kinder müssen trauern dürfen. Ob nun ein geliebter Mensch oder „nur“ ein geliebtes Tier gestorben ist, Kinder empfinden dabei ein sehr starkes Gefühl der Trauer. Egal wie sie dieses Gefühl äußern, ihre Trauer braucht Raum. Ob sie dabei nun in Tränen ausbrechen, schreien, verzweifeln oder in sich reinfressen, genau wie Erwachsene müssen sie die Trauer ausleben dürfen.

Gerade bei Kindern ist die Trauer noch viel extremer als bei Erwachsenen und sollte sich auch so äußern dürfen. Ein gut gemeintes Ablenken schadet hier, auch wenn vielleicht der Eindruck entsteht, nun sei alles wieder gut. Oft werden Kinder zum ersten Mal mit diesem Gefühl konfrontiert. Die Welt gerät für sie aus den Angeln, nichts ist mehr so wie es war. Werden solche Gefühle unterdrückt, so nagen sie unter der Oberfläche weiter, können sich im Extremfall auch in körperlichen Symptomen äußern. Bettnässen bei bereits trockenen Kindern kann zum Beispiel ein solches Symptom sein.

Trauer braucht Ausdrucksmöglichkeiten

Manche Kinder zeigen ihre Trauer nach außen nicht oder nur wenig. Gerade wenn Eltern selbst auch trauern, wollen die Kinder ihre Eltern nicht zusätzlich belasten und versuchen, alles mit sich selbst aus zu machen. Diese Kinder sollten auf jeden Fall eine Möglichkeit erhalten um ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen, bei Vertrauenspersonen außerhalb des Elternhauses.

Ein Beispiel aus der Fachliteratur fällt mir dazu ein: Im „Ereignis Kunsttherapie“ schildert Marie-Thérèse de Tscharner einen Fall aus ihrem Atelier. Ein siebenjähriger Junge hat sich in den letzten zwei Jahren zu einem traurigen und unlustigen Kind verändert. Er verarbeitet im Atelier die Trauer und die Schuldgefühle zum Tod seines Hundes. Der Hund wurde von einem Auto überfahren, der Junge machte sich Vorwürfe, weil er die Leine nicht halten konnte.  Beim Malen kann er seiner Trauer Ausdruck geben und mit dem letzten Bild einer Reihe, dem verstorbenen Hund einen Platz im Hundehimmel und seinem Herzen malen.

Farbige Tristesse in Grundschulfluren

Auch auf die Gefahr hin, dass ich mir mit diesem Beitrag keine Freunde unter Grundschullehrerinnen mache – ich behaupte inzwischen, dass ich die Qualität einer Grundschule in den Fluren erkennen kann.

Hängen dort Sonnenblumenbilder in Reih und Glied,eine wie die andere mit ultramarinblauem Himmel, so schwant mir schon Übles. Bisher hat mich das auch noch nicht getäuscht.

Vor meinem geistigen Auge sehe ich die Kinder vor mir, mit gebeugtem Rücken über ihrem Zeichenblock, mit kratzigen Borstenpinseln in der widerspenstigen Wasserfarbe rumrühren, die erst dann einen deckenden Farbauftrag auf dem Papier ermöglicht, wenn sie schaumig gerührt wurde. Das Papier weicht schnell auf, es wellt sich. Und – oweh – hier gerät Blau in das Gelb der Blume und vermischt sich zu Grün, das gibt bestimmt eine schlechte Note, wir sollten doch aufpassen, dass wir nicht über den Rand kommen. Und jetzt so viel Blau malen, immer um die Blume herum, wie langweilig……

Sicher hat die Schule einen Bildungsauftrag, die Kinder sollen dort was lernen. Und damit widerspricht sich das mit meiner Forderung, die Kinder sollen sich beim Malen frei entwickeln dürfen. Denn nach landläufiger Auffassung bedeutet Lernen ja, etwas vorzugeben, was dann von den Lernenden aufgenommen wird. Wissen, das sich die Kinder selbst erarbeiten wird noch immer nicht als ‚gelernt‘ akzeptiert.

Bereits vor 85 Jahren wurde in Jena die erste deutsche Montessorischule gegründet. Dort gilt der Leitsatz „Hilf mir es selbst zu tun!“. Auch wenn das begleitete Malen nicht mit der Montessoripädagogik in Verbindung steht, so gibt es doch in einigen Punkten gemeinsame Ansätze.

Da wäre zunächst die Forderung, das Lernen im eigenen Rhythmus zu ermöglichen. Das deckt sich völlig mit unserer Regel „Jeder malt so wie er will und kann“.

Auch die tiefe Konzentration, die laut Montessori zu beobachten ist, wenn sich ein Kind mit dem beschäftigt, was gerade seine Bedürfnisse befriedigt, ist im Atelier immer wieder zu sehen.

Und auch das Atelier selbst kann man als eine vorbereitete Umgebung im Sinne Montessoris betrachten. Dieser Raum enthält alles, was zum Malen gebraucht wird und nicht mehr. Die Paletten stehen bereit, das Papier wartet auf die Malenden. Die leuchtenden, flüssigen Farben sind ein Material, das Wertschätzung verdient und auch bekommt. Jede Farbe hat einen dicken und einen dünnen Pinsel, wenn die beide in Gebrauch sind, muss gewartet werden, Absprachen und Rücksichtnahme werden so gefördert.

Um auf die Sonnenblumen zurückzukehren, diese werden auch von den Kindern im Atelier gelegentlich gemalt. Sie dienen dann als „Verpackung“ für eine unorientierte Tastfigur. Diese drückt das Körperempfinden ‚weggehen und zurückkommen‘ aus, als eines der kindlichen (oder auch erwachsenen)  Bedürfnisse.  Es wird dann gemalt, wenn das Kind eben dieses Empfinden verspürt. Und nicht, wenn die Sonnenblume auf dem Sachunterrichtlehrplan steht.

Wie zusammenkommt, was zusammengehört

Nach Bettina Egger ist mit der gerichteten Tastfigur die Entwicklung der Urformen abgeschlossen. Die Urformen sind die Grundlage der visuellen Wahrnehmung und bleiben als Ausdruck des Körperempfindens erhalten.
Die weitere Malentwicklung verläuft in Richtung figurative Darstellung und Raumentwicklung, also dahin, das gesamt Blatt zu erobern.
Dabei kommen die Hirnhälften ins Spiel, denen ja allgemein nachgesagt wird, dass die linke Hälfte für Sprache und das lineare, logische Denken, die rechte dagegen für Intuition und ganzheitliche Wahrnehmung zuständig ist.
Das gut koordinierte Zusammenspiel der beiden Hirnhälften sorgt für eine umfassende, gut entwickelte Wahrnehmung.
In Kinderbildern zeigen sich die beiden Arten der Wahrnehmung zunächst parallel: als „Körper-Ego-Bilder“ und „Geist-Ego-Bilder“. Beide Darstellungsarten können in einem Bild auftreten.

Körper-Ego-Bilder

Die Körper-Ego Bilder als Abgesandte der rechten Hirnhälfte entstehen, indem sich das malende Kind in das hineinfühlt, was es malen möchte. So wie sein eigenes Körperempfinden ist, wenn es sich in einen Tisch „hineinprojiziert“, malt es diesen dann auch:

Körper Ego Bild

Die Körper-Ego-Bilder sehen zumeist so aus, als ob man etwas aus der Vogelperspektive betrachtet und plattdrückt.

Geist-Ego-Bilder

Im Gegensatz dazu stehen die Geist-Ego-Bilder. Diese werden „linkshirnig“ erzeugt, durch sehen und wissen. Nach einem Denkprozess wird das Ergebnis aufs Papier gebracht.

Geist-Ego
Geist-Ego

Der Geist-Ego-Tisch kann auch in gleicher Darstellung über 4 Beine verfügen.

integration der hirnhälften
Integration der beiden Darstellungsarten

Körper-Ego und Geist-Ego Bilder treten gleichzeitig auf. Lässt man ein Kind lange und oft genug frei malen, entwickelt es ein eigenes räumliches Wahrnehmungs- und Darstellungsvermögen. Das kann zum Beispiel über den folgenden Weg geschehen:

Die Verknüpfung verbindet die Elemente von Körper-Ego und Geist-Ego, die Integration schließlich ist die eigene perspektivische Darstellung.
Diese Entwicklung läuft normalerweise bis zum Alter von etwa 10 -11 Jahren ab. Leider werden Kinder häufig durch Schule oder Umfeld zu früh auf die Probleme der perspektivischen Darstellung aufmerksam gemacht. Sie bekommen Lösungen angeboten. Diese erlernten Lösungen sind jedoch nicht wirklich verstanden.
Viel zu viele Kinder verlieren noch vor der Vollendung dieser Integration die Lust am eigenen, freien Malen und Zeichnen. Entweder verweigern sie es völlig oder sie flüchten in schablonenhaftes Abzeichnen.

Die Entwicklung kann auch im Erwachsenenalter nachgeholt werden

Fangen sie dann als Erwachsene wieder an zu malen, sind die erlernten Regeln der Perspektive längst vergessen. Das Malen beginnt auf der Entwicklungsstufe neu, auf der als Kind aufgehört wurde. Viele dieser Erwachsenen qualifizieren dann ihre eigenen Werke ab und glauben sich völlig ohne Talent.
Doch auch im Erwachsenenalter kann die Entwicklung weitergeführt werden und zum wirklich eigenen Darstellen, Gestalten und Wahrnehmen werden.

Das ist jetzt zwar nicht so geworden, wie ich es wollte…

nicht so wie ich wollteDas ist jetzt zwar nicht so geworden, wie ich es wollte, aber manchmal muss man das dann auch so lassen!
Mit dieser Aussage überraschte mich ein Siebenjähriger nach etwa 5 Wochen Malen im Atelier. Er hatte sich zu Beginn seiner Atelierbesuche ewig damit verweilt, aus Weiß und Schwarz Grautöne zu mischen. Sie mussten immer wieder neu gemischt und übermalt werden, weil sie seinen Vorstellungen nicht entsprachen.
Wenn er etwas auf sein Blatt geschrieben hat, dann hat er es zumeist durchgestrichen und neu geschrieben, weil ihm das Geschriebene nicht schön genug war.
Bettina Egger geht ja davon aus, dass sich die Malenden beim Malen so verhalten, wie im echten Leben.
Bei diesem Jungen zumindest trifft das wohl sehr genau zu, denn auch bei den Hausaufgaben und in der Schule zeigte er dieses Verhalten. Oft wurde er mit den Arbeitsblättern nicht fertig, weil er wieder und wieder ausradiert hat, weil das nicht so geworden ist, wie er es wollte.
„Aber manchmal muss man das auch so lassen!“ – Zu ihm direkt habe ich das so eigentlich nie gesagt.
Das war eigentlich mein Thema mit einem anderen Jungen in dieser Gruppe. Regelmäßig wollte er das Papier umgedreht haben, weil ihm sein Anfang nicht gefallen hat. Ihn hatte ich immer wieder ermutigt, aus dem missglückten Anfang doch noch etwas zu machen.
Und doch hat es auch auf den Siebenjährigen nachhaltig gewirkt.
So nachhaltig, dass er es in sein Leben außerhalb des Atelier übertragen kann ? ! ?

Urformen – von der Achse zur gerichteten Tastfigur


Die Achse stellt die nächste Stufe der kindlichen Malentwicklung dar. Sie entwickelt die Wahrnehmung der Strukturen im Innern weiter. Nun entwickelt das Kind ein Gefühl für Symmetrie und Seitigkeit. Es beginnt das zu vergleichen, was es von außen wahrnimmt, mit dem, was es von innen kennt. In dieser Zeit fängt es an die Umwelt kennen zu lernen.

Die Achse, auf dem Umriss oder im Inneren des Körpers

Im Anschluß daran entdeckt das Kind mit dem Urkreuz die Orientierung seiner Innenwelt. Damit wird die Grundlage für die Orientierung im Raum geschaffen. Ein Gefühl für senkrecht – waagrecht, oben – unten, rechts – links entsteht. Das Urkreuz steht aufrecht im Raum. Diese Entwicklungsphase ist der Beginn des zielgerichteten Handelns.

urkreuz
Das Urkreuz

Mit den Pulspunkten wird es lebhaft. Sie drücken Bewegung und Leben aus. In der Körperwahrnehmung findet das Leben Ausdruck im Herzschlag, Puls und Atem.
Pulspunkte werden rhythmisch und mit Geräusch gemalt.

pulspunkte
Pock, pock, pock – Pulspunkte

Ein typisches Beispiel für Interpretationen von Kinderbildern ist die unorientierte Tastfigur. Zu verlockend ist es aber auch, darin eine Sonne zu sehen. Sie zeigt aber ganz allgemein auf, wie das Kind mit den ersten Schritten anfängt, sich die Umwelt zu erobern. Es geht weg, kommt zurück, um sich gleich darauf wieder zu entfernen. Die unorientierte Tastfigur zeigt uns dieses Lebensgefühl des Kindes.

Eine der Urformen, die unorientierte Tastfigur
Eine der Urformen, die unorientierte Tastfigur

Das Kind fängt nun an, sich im Raum zu orientieren. Es stellt nun fest, dass seine Wünsche nicht immer denen der Mutter entsprechen. Es beginnt die Mutter eindeutig der Umwelt zu zurechnen und entwickelt und äußert den eigenen Willen. Ausdruck dieser Befindlichkeit ist die gerichtete Tastfigur.

Die gerichtete Tastfigur
Die gerichtete Tastfigur

Urformen – vom Kritzelknäuel ins Zentrum

Gibt man einem Kind zum ersten Mal einen Stift in die Hand, fängt es schnell an loszukritzeln. Es entdeckt, dass es mit dem Stift, Spuren auf dem Papier hinterlässt.

Kritzelknäuel
Kritzelknäuel

Diese entsprechen den noch ziemlich ziellosen Bewegungen des Neugeborenen. So wie das neugeborene Kind noch keine räumliche Orientierung hat und sich seiner Körpergrenzen noch nicht bewusst ist, sind auch die Kritzellinien noch diffus und ungerichtet. Sie verdichten sich aber in kurzer Zeit zu Knäueln.
In der nächsten Stufe fängt das Kind an, sich als eigenständiges Wesen wahrzunehmen. Es entwickelt eine Richtung und fängt an Ich und Umgebung zu unterscheiden. Es beginnt, sich von der Mutter loszulösen.

Spirale
Spirale

In der Malentwicklung wird diese Entwicklung mit der Spirale wiedergegeben. Wir Erwachsenen sind spätestens jetzt in der Versuchung, Gegenstände in diese Bilder hineinzuinterpretieren, erinnert uns doch die Spirale vielleicht an ein Schneckenhaus. Damit werden wir aber der kindlichen Bildersprache nicht gerecht. Diese Urformen geben vielmehr die Wahrnehmung, insbesondere die Körperwahrnehmung der Kinder wider.

Die endgültige Entdeckung, dass der Körper eine Grenze hat und Ich ein eigenes Wesen bin, bildet der Kreis. Es gibt eine Innenwelt und eine Außenwelt.

Kreis
Kreis

Dieser Entdeckung folgt die Erkenntnis, dass die Innenwelt über Strukturen verfügt. Der Bauch und insbesondere der Nabel wird als Zentrum dieser Innenwelt entdeckt.

Ich bin der Nabel der Welt
Ich bin der Nabel der Welt

Die Malentwicklung der Kinder – Urformen überall gleich

Kritzelknäuel

Überall auf der Welt läuft die Malentwicklung der Kinder in einer gleichen Reihenfolge ab. Ganz egal ob Inuit oder Tuareg, gibt man Kindern ein Möglichkeit zu malen, werden sie überall auf der Welt bei den gleichen Urformen landen.

Arno Stern bereiste Mitte der 60ger, Anfang der 70ger Jahre Länder, die damals noch weitgehend unbeeinflußt von der Zivilisation waren (Guatemala und Papua-Neuguinea, Afghanistan und Peru, Äthiopien und Niger). Er lies Kinder malen, die noch nie zuvor Farbe und Papier hatten. Und er stellte fest, dass diese Kinder die gleichen Grundstrukturen malten, wie die Kinder in Paris. Wer mehr über Arno Sterns Hintergrund und seine Forschungsreisen erfahren möchte, findet in diesem Spiegel-Artikel Informationen dazu.

Das was in dem Artikel als Erstfiguren bezeichnet wird, wird von Helen Bachmann und Bettina Egger als „Urformen“ weiteruntersucht. Helen Bachmann wagt es, die Verbindung herzustellen, zwischen den Urformen und der kindlichen Individuation. Sie entdeckt dabei Parallelen zwischen den ungelenkten Bewegungen des Neugeborenen und den Kritzelknäueln, der ersten Urform, die aufs Papier gebracht wird. In ihrem Buch „Malen als Lebensspur“ beschreibt sie diese Urformen und die Entsprechungen in der Entwicklung ausführlichst.

Einen kurzgefassten Überblick darüber welche Urformen es gibt werde ich hier in den nächsten Tagen veröffentlichen.