Als Mutter mit Basteln und Malen nix am Hut haben?

bastelkiste

Jede Mutter will ihr Kind möglichst gut fördern

Angebote dafür gibt es jede Menge, Musikschule, Kinderturnen, Kinderenglisch und natürlich (da nehme ich mich ja nicht aus) auch Malen/Kreativangebote. Gerade letzteres kann man ja eigentlich auch Zuhause anbieten – eigentlich. Wer selbst gern in der Richtung aktiv ist, wird wahrscheinlich wenig Schwierigkeiten haben, auch mit Kindern zusammen zu werkeln. Und wenn nicht?

Anscheinend gibt es eine unausgesprochene Forderung, dass ALLE MÜTTER mit ihren Kindern malen und basteln müssen… ganz ehrlich? Riesenquatsch!!

Ich glaube, jede Mutter hat das Recht darauf, authentisch zu sein. Und jede Mutter hat das Recht darauf, irgendwas nicht zu mögen. Punkt!

Keine Mutter muss sich um der lieben Kinder Willen verbiegen. Gewisse Zugeständnisse wird Mama wahrscheinlich ein Stück weit eingehen, um ihrem Kind einen Herzenswunsch zu erfüllen. Meine Tochter beispielsweise tanzt leidenschaftlich gern. Bei den Fasnachtern *schluck*… für mich so ziemlich die ‚Höchststrafe‘. Trotzdem hab ich sie jahrelang zu Auftritten gefahren, beim Umziehen und Schminken geholfen und auch Kostüme genäht. Den Support geleistet, der notwendig war, damit sie diesem Hobby nachgehen konnte. Aber auch nicht mehr. Ich hab mich nicht selbst kostümiert, bin nicht länger als nötig auf den Veranstaltungen geblieben und bin auch sonst nicht närrisch aktiv geworden. Wir konnten mit diesem Kompromiss gut leben. Auch wenn andere Mitglieder der Kindergarde aus ausgesprochenen Fasnachtsfamilien kamen, in denen beide Elternteile aktiv waren (und überhaupt nicht verstehen konnten, dass ich daran keinen Spaß habe), ist der Funke nie auf mich übergesprungen. Muss auch nicht.

Genauso wenig muss er das beim Malen oder Basteln. Wer sich dafür selbst nicht begeistern kann, sollte sich nicht dazu zwingen. Denn erstens merken Kinder es, wenn ein Elternteil nur als Pflichtübung Papier und Stifte auspackt, dabei möglicherweise noch eigene böse Vorbehalte mit sich rumträgt. „Meine Bilder in der Schule waren immer scheußlich!“, „Ich kann das sowieso nicht!“, „Ich hab noch nie gerne gemalt!“. Sowas überträgt sich dann unter Umständen sogar noch auf die Kinder oder äußert sich in unpassenden Äußerungen wie „macht ja nix, dass dein Haus so schief ist, ich konnte auch nicht malen!“.

Mit so einer Situation kann man unterschiedlich umgehen:

  • Malen ist doof, ich hab das schon nicht gern gemacht, also musst (darfst) du das auch nicht machen
  • Ich fand Malen immer doof, aber vielleicht macht es ja mit dir zusammen doch Spaß
  • Ich finde Malen doof, aber wenn du es gerne machen möchtest, dann darfst du es gern tun.

Die letzten beiden Varianten sind natürlich die konstruktivsten, denn sie stellen dem Kind frei, gern zu malen. Entweder allein (bzw. mit Freunden) und einer Bastelkiste mit eigenem Material oder eben auch in einem begleiteten Angebot mit ‚Gleichgesinnten‘ (was ganz sicher mehr Spaß macht). Toll wäre natürlich, wenn die uninteressierte Mama sich trotzdem ein bisschen für die Werke des eigenen Kindes interessieren und mit ihm darüber sprechen kann. Und wenn auch Zuhause ein Grundstock an Material zur freien Verfügung steht, damit auch mal spontane Ideen umgesetzt werden können oder einfach eine Weile Beschäftigung mit Papier und Farbe allein möglich ist, umso besser.

bastelkiste
Keiner ‚muss‘ basteln!

Aber – alles entspannt, ohne Verrenkungen und Verbiegen! 🙂

Der Grashalm wächst nicht schneller, wenn man daran zieht!

Ohne Themenvorgabe malen – warum denn?

Immer wieder wird mir diese Frage gestellt, vor allem im schulischen Bereich. „Die Kinder sollen doch was lernen!“ ist dann das Argument. Gerade beim Malen und allen damit verbundenen Wahrnehmungsprozessen gilt aber ganz stark „Der Grashalm wächst nicht schneller, wenn man daran zieht!„.

Ganz deutlich konnte ich das wieder erkennen in der Arbeit mit einer Gruppe von SchülerInnen aus 5. Klassen.

Zu Beginn ist diese Art zu Malen für die Kinder ganz ungewohnt. Sie bleiben auf vertrautem, vermeintlich sicherem Terrain und malen so, wie sie es ‚gelernt‘ haben.

Viele Kinder nutzen die freie Themenwahl zunächst, um Bilder zu malen, auf denen Schrift dekorativ eingesetzt und mit Symbolen (Herzen, Blumen, Schnörkel) ergänzt wird. Diese Bilder machen den Kindern einigermaßen Spaß und lassen wenig Rückschlüsse zu. Feinmotorische Schwächen sind erkennbar, ansonsten sagen diese Bilder wenig aus. Andere Kinder nutzen die Gelegenheit, um ihr erlerntes Lieblingsmotiv auf großes Papier zu bringen, ob das nun ein Haus mit Baum, eine Comicfigur oder was auch immer ist.

Diese Bilder werden normalerweise ‚vorgezeichnet‘: die Konturen zuerst, anschließend wird die Fläche ausgemalt. Dabei wird manchmal deutlich, dass diese Motive ‚gelernt‘ sind. An einigen Stellen ist der Übergang der Konturen nicht stimmig. Die Figur wird nicht logisch aufgebaut, sondern die Linien werden aus der Erinnerung auf das Papier gebracht, ohne wirklich verstanden zu haben, dass diese Linie der äußere Rand des Armes oder Beines ist.

Wie ging es hier nochmal weiter?malentwicklung kinder,angelerntes
Wie ging es hier nochmal weiter?

Ein solches Bild habe ich hier sehr stark vereinfacht nachempfunden, um die entscheidenden Punkte aufzeigen zu können. Das malende Kind (12 Jahre) hat die Schildkröte nicht wirklich verstanden, sondern eine cartoonartige Abbildung quasi abgepaust. Dabei blieb die Seite des Kopfes außer Acht, es wusste nicht mehr, wie es da eigentlich weitergeht. Es wusste nicht, was es da eigentlich gerade malt. Zu welchem Körperteil diese Linie gehört.

Nicht immer ist das auf den fertigen Bildern so gut zu erkennen wie hier. Deshalb ist der Malprozess für mich so wichtig, da kann ich sehr genau erkennen, ob auswendig gelerntes reproduziert wird, oder eine echte Beschäftigung mit dem, was da gemalt wird, stattfindet.

Sehr oft malen Kinder nach solchen Bildern dann etwas, das zunächst verstört. Die Bilder scheinen weit hinter dem Alter des Kindes zurückzuliegen.

Und ab jetzt wird es spannend – findet in den nächsten Bildern eine Entwicklung statt?

Ein anderes Kind (11 Jahre) brachte nach zwei ’nichtssagenden‘ Schrift und Symbole Bildern etwas in dieser Art (schematische Darstellung) aufs Papier:

Orientierte Tastfigur als Baum
Orientierte Tastfigur als Baum

Dieser Baum entspricht der Urform der orientierten Tastfigur und ist in dieser Form eigentlich im Kindergarten- und Vorschulalter anzutreffen. Zumindest ein Teil der Wahrnehmung dieses Kindes entspricht möglicherweise der eines Kindergartenkindes.

Ich bin mir ziemlich sicher, wenn in der Klasse die Aufgabe „Wir malen einen Baum“ heißt, dann kommt ein anderes Ergebnis aufs Papier. Denn dann ist es möglich, bei den anderen zu schauen, wie die das machen, aus dem Fenster zu gucken, wie denn die Bäume aussehen oder vielleicht auch den Hinweis zu erhalten „So sieht doch kein Baum aus!„.

All das verändert vielleicht die Darstellung, nicht aber die Wahrnehmung des Kindes.

Im geschützten Malraum gibt es keine Vorlagen, die abgemalt werden können. Jeder malt sein Thema bedeutet häufig auch, dass nur ein Kind gerade einen Baum malt, auf die anderen gucken also auch nicht möglich ist. So ermöglicht das freie Malen den Kindern, an ihrem wirklichen Entwicklungsstand anzufangen und dann ihre eigene Entwicklung zu durchlaufen oder nachzuholen, in ihrem eigenen Tempo. Das kann langsam und bedächtig sein oder überraschend schnell gehen.