Wie sehr die Kinder von den leuchtenden Farben fasziniert sind, habe ich hier ja schon mehrfach geschrieben. Und auch auf Erwachsene üben sie einen ganz besonderen Reiz aus. Anscheinend fasziniert das aber nicht nur Menschen, denn bei jeder sich bietenden Gelegenheit, schlüpft noch ein Gast ins Atelier:
Wenn jemand eine Weile regelmässig begleitet gemalt hat, findet ein „Bildergespräch“ statt. Dazu werden alle bereits gemalten Bilder im Atelier aufgehängt.
Was willst du mir denn erzählen?
In einem Einzeltermin werden dann die Bilder gemeinsam von der Malenden und der Malleiterin betrachtet und besprochen.
Der Eintritt ins Atelier ist wirklich beeindruckend, alle Wände hängen voll mit meinen Bildern. Wie alte Bekannte oder auch fast Fremde hängen sie da. Manche wecken beim Betrachten eine Flut an Emotionen, andere sind noch immer rätselhaft. Und einige sind dabei, an die ich mich gar nicht mehr richtig erinnern kann.
Im Gespräch wird nach Verbindungen gesucht, manchmal haben Bilder, die zeitlich voneinander entfernt, entstanden sind, einen gemeinsamen Hintergrund. Manchmal gibt es ganze Bilderserien, die fortlaufend ein Thema behandeln.
Andere verschliessen sich auch jetzt noch und wollen ihre Bedeutung (noch) nicht preisgeben.
In dem Buch „Die Kunst der Wahrnehmung“ von John O. Stevens gibt es eine sehr schöne Wahrnehmungsübung, eigentlich sogar eher eine Phantasiereise, die ich hier ganz frei und sehr stark verkürzt nacherzähle.
Dafür legt man sich bequem auf dem Boden oder auf eine feste Unterlage und spürt mit dem Körper den Bodenkontakt. Zunächst steht die Körperwahrnehmung im Vordergrund um Verspannungen aufzuspüren und zu lösen. Nach dieser Phase des Ruhe und Kontaktfindens, beginnt das „Rosenbusch sein“.
Rosenbusch
Wenn du ein Rosenbusch bist, dann steht dieser Rosenbusch…
Wie ist dein Wuchs und wie sind deine Blüten?…
Deine Wurzeln sind in der Erde verankert, spüre den Wurzeln nach, wie fühlt es sich an?…
Wie geht es Dir, dem Rosenbusch, im Wechsel der Jahreszeiten?….
… In Stevens‘ Buch sind Niederschriften von Gesprächen während dieser Übung zwischen dem Leiter und Teilnehmern enthalten, es ist ganz erstaunlich, wie unterschiedlich diese Rosenbüsche doch alle sind.
Doch nicht nur Rosenbüsche bietet John O. Stevens in seinem Buch. Es ist eine reichhaltige Fundgrube an Übungen aus der Gestalttherapie. Wahrnehmungsübungen in unterschiedlichen Formen füllen das erste Kapitel. Kommunikation mit sich selbst und mit anderen sind weitere Themengebiete. „Die Vergangenheit vergangen sein lassen“ oder „Ich muss – Ich entscheide mich für“ sind sicherlich Themen, die fast jeder immer wieder im Gespräch mit sich selbst aufgreifen sollte.
„Phantasiereisen“ sind ein weiteres weites Feld: „Baumstumpf, Hütte, Fluss“, „Eine Statue, die Sie selbst darstellt“ oder „Ein Phantasie-Gefährte“ nennen sie sich zum Beispiel. Auch „Übungen zu Zweit“ und speziell für Paare füllen „Die Kunst der Wahrnehmung“. Im noch größeren Rahmen bewegen sich Gruppenübungen wie „Probe und Lampenfieber“ oder „Roboter – Dorfdepp“.
Das Kapitel „Bild, Bewegung und Klang“ enthält Übungen, die kreative Mittel nutzen. „Mit beiden Händen zeichnen“, „sich selbst zeichnen“ oder auch ein „Dialog im Zeichnen“ sind für alle geeignet, die gern Papier und Farbe nutzen. Körperwahrnehmung und Bewegung stehen bei „Atmen in den Körper hinein“ oder „Den Boden fühlen“ im Blickpunkt.
Alle Übungen sind knapp aber anschaulich beschrieben und lassen sich gut in die Praxis umsetzen.
Auch Kinder müssen trauern dürfen. Ob nun ein geliebter Mensch oder „nur“ ein geliebtes Tier gestorben ist, Kinder empfinden dabei ein sehr starkes Gefühl der Trauer. Egal wie sie dieses Gefühl äußern, ihre Trauer braucht Raum. Ob sie dabei nun in Tränen ausbrechen, schreien, verzweifeln oder in sich reinfressen, genau wie Erwachsene müssen sie die Trauer ausleben dürfen.
Gerade bei Kindern ist die Trauer noch viel extremer als bei Erwachsenen und sollte sich auch so äußern dürfen. Ein gut gemeintes Ablenken schadet hier, auch wenn vielleicht der Eindruck entsteht, nun sei alles wieder gut. Oft werden Kinder zum ersten Mal mit diesem Gefühl konfrontiert. Die Welt gerät für sie aus den Angeln, nichts ist mehr so wie es war. Werden solche Gefühle unterdrückt, so nagen sie unter der Oberfläche weiter, können sich im Extremfall auch in körperlichen Symptomen äußern. Bettnässen bei bereits trockenen Kindern kann zum Beispiel ein solches Symptom sein.
Trauer braucht Ausdrucksmöglichkeiten
Manche Kinder zeigen ihre Trauer nach außen nicht oder nur wenig. Gerade wenn Eltern selbst auch trauern, wollen die Kinder ihre Eltern nicht zusätzlich belasten und versuchen, alles mit sich selbst aus zu machen. Diese Kinder sollten auf jeden Fall eine Möglichkeit erhalten um ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen, bei Vertrauenspersonen außerhalb des Elternhauses.
Ein Beispiel aus der Fachliteratur fällt mir dazu ein: Im „Ereignis Kunsttherapie“ schildert Marie-Thérèse de Tscharner einen Fall aus ihrem Atelier. Ein siebenjähriger Junge hat sich in den letzten zwei Jahren zu einem traurigen und unlustigen Kind verändert. Er verarbeitet im Atelier die Trauer und die Schuldgefühle zum Tod seines Hundes. Der Hund wurde von einem Auto überfahren, der Junge machte sich Vorwürfe, weil er die Leine nicht halten konnte. Beim Malen kann er seiner Trauer Ausdruck geben und mit dem letzten Bild einer Reihe, dem verstorbenen Hund einen Platz im Hundehimmel und seinem Herzen malen.
Gerade wenn es darum geht, Gefühle aufs Papier zu bringen, herrscht oft die Meinung vor, dies ginge nur mit abstrakter Darstellung.
Ich will den abstrakten Werken hier keinesfalls absprechen, dass sie Gefühle ausdrücken und diese auch dem Betrachter vermitteln. Auch ich selbst male gern mal abstrakt, allerdings haben diese Bilder einen ganz anderen Hintergrund als die ‚begleiteten‘ Bilder, um die es hier hauptsächlich geht.
Der Grund dafür ist eigentlich auch ganz einleuchtend – bei abstrakter Darstellung bin ich als Malende in meiner eigenen Bildersprache. Themen sind nicht ofensichtlich erkennbar, es verbleibt viel Spielraum für die Fantasie. Das empfinde ich als durchaus reizvoll und interessant.
Um beim Malen meine Persönlichkeit weiter zu entwickeln, sind diese Bilder aber zu wenig konkret. Sie drücken oft sehr allgemein eine Stimmungslage aus, bieten aber wenig bis keine Anhaltspunkte, um festzustellen woher diese Stimmung kommt oder was sie bewirkt. Einem Außenstehenden geben sie noch weniger Ansatzpunkte. Die Geschichte, die sie erzählen, ist nur Eingeweihten zugänglich.
Werde ich im Malen gegenständlich, kann eine Malbegleiterin hier ganz konkret anpacken. Geht es mir darum, ein Gefühl darzustellen, so male ich eine Situation, in der ich diese Gefühle habe/hatte.
„Was ist da passiert?“
„Wer ist das?“
„Wo ist das?“
„Wann war das?“
„Kennst Du das?“
All diese Fragen können weiterbringen und klären. Ganz konkret!
Diese Frage tritt immer wieder auf, wie ist mein Verhältnis zu nahestehenden Menschen.
Wie stehe ich zu Dir, Mutter, Vater oder Partner?
Ich beantworte mir das gern mit einem (begleiteten) Portrait. Dabei kommt es gar nicht auf die absolute Ähnlichkeit an, wichtig ist, dass Grundzüge der Person deutlich werden. Und gerade hier sind die Fragen der Begleiterin sehr hilfreich. Ob sie nun das Alter oder die Umgebung der Person betreffen, oder der Gesichtsausdruck hinterfragt wird. Sie erkennt beim Malen die Emotionen, die beim Gestalten dieser Person auftreten und kann durch gezielte Fragen helfen, sich dieser Gefühle bewusst zu werden.
Wie stehe ich zu dir?
Beim Malen wird die Beziehung zur Person offengelegt. Aber auch ihre Eigenschaften zeigen sich, oftmals überzeichnet. Ein solches Portrait kann bewusst angegangen werden oder auch aus einer Spur entstehen.
Gerade wenn das Verhältnis zu einer nahestehenden Person schwierig ist, kann es sehr helfen, in eine Maleinheit zu gehen, mit dem Vorsatz ich male jetzt den Vater oder die Mutter oder wen auch immer. Die Schwierigkeiten am Bild zeigen mir die Schwierigkeiten mit der Person, es erfolgt eine ganz intensive Auseinandersetzung auf dem Papier. Und auf dem Papier gibt es die Möglichkeit, der Person etwas ‚zurückzugeben‘ und so zu klären, was ist dein Thema und was ist meins.
Weil ich nur mich selbst und mein Verhalten verändern kann, hilft ein Bild mir dabei die Beziehung zu klären und in gewissem Maß zu reinigen, um anschließend einen leichteren Umgang zu finden.
Ich kann mir die Last von der Seele malen und alte Konflikte im Atelier zurücklassen.
„Das ist jetzt zwar nicht so geworden, wie ich es wollte, aber manchmal muss man das dann auch so lassen!“ Mit dieser Aussage überraschte mich ein Siebenjähriger nach etwa 5 Wochen Malen im Atelier. Er hatte sich zu Beginn seiner Atelierbesuche ewig damit verweilt, aus Weiß und Schwarz Grautöne zu mischen. Sie mussten immer wieder neu gemischt und übermalt werden, weil sie seinen Vorstellungen nicht entsprachen. Wenn er etwas auf sein Blatt geschrieben hat, dann hat er es zumeist durchgestrichen und neu geschrieben, weil ihm das Geschriebene nicht schön genug war. Bettina Egger geht ja davon aus, dass sich die Malenden beim Malen so verhalten, wie im echten Leben. Bei diesem Jungen zumindest trifft das wohl sehr genau zu, denn auch bei den Hausaufgaben und in der Schule zeigte er dieses Verhalten. Oft wurde er mit den Arbeitsblättern nicht fertig, weil er wieder und wieder ausradiert hat, weil das nicht so geworden ist, wie er es wollte. „Aber manchmal muss man das auch so lassen!“ – Zu ihm direkt habe ich das so eigentlich nie gesagt. Das war eigentlich mein Thema mit einem anderen Jungen in dieser Gruppe. Regelmäßig wollte er das Papier umgedreht haben, weil ihm sein Anfang nicht gefallen hat. Ihn hatte ich immer wieder ermutigt, aus dem missglückten Anfang doch noch etwas zu machen. Und doch hat es auch auf den Siebenjährigen nachhaltig gewirkt. So nachhaltig, dass er es in sein Leben außerhalb des Atelier übertragen kann ? ! ?
…die Kinder entdecken es zumeist recht schnell – im Atelier gibt es goldene und silberne Farbe. Sie sind begeistert und verwenden es gern auch mal großflächig.
Die Erwachsenen tun sich damit schon schwerer. Gold und Silber (nebenbei bemerkt, es gibt auch rosa!) , das hat gleich so einen Touch von Kitsch, pfuibäh;).
Und gerade wenn nach einer Spur gemalt wird, dann fällt es uns Erwachsenen sehr schwer, wenn das, was wir da erkennen banal oder kitschig ist. Aber im begleiteten Malen darf genau das auch sein. Banales und Kitschiges. Nicht immer müssen die großen, ernsthaften Themen gemalt werden. Wenn uns danach ist und wir das erkennen, dann darf auch das Lebkuchenherz mit rosa Zuckerguß aufs Papier. Und uns vielleicht an eine unschuldige Jugendliebe erinnern. Oder an ein großes Liebesdrama. Oder die Dreizehnjährige in uns wecken, die voller überkochender Emotionen die erste Verliebtheit erlebt.
Gerade Gold und Silber bieten sich auch an, um besondere Wertschätzung auszudrücken. Ein glänzendes Schmuckstück, das wir unserem Selbstportrait umhängen, um uns selbst besonders zu würdigen.