Introvertierte Erwachsene

Genauso wie es die introvertierten Kinder gibt, gibt es natürlich auch introvertierte Erwachsene. Ich gestehe gleich vorweg, dass ich mich selbst eigentlich auch eher dieser Richtung zuordne.

Mit den Jahren habe ich gelernt, meine eigene Art grundsätzlich zu akzeptieren und an den Punkten, die mir selbst nicht gefallen, zu arbeiten. Ich habe gelernt, Hilfe anzunehmen und einzufordern. Ich muss nicht mehr immer alles mit mir selbst ausmachen. Und ich kann den inneren Perfektionisten ganz gut in seine Schranken weisen.

Gerade für introvertierte Menschen ist es oft schwer, Grenzen zu setzen und die eigenen Gefühle wahrzunehmen und ihnen Raum zu lassen.

Beim begleiteten Malen wird dies sehr schnell offensichtlich, ganz direkt am Bild. Und ebenso direkt lässt sich am Bild neues Verhalten erlernen und eintrainieren.

Auf dem harmlosen Übungsfeld Papier, fällt es zunehmend leichter, klare Grenzen auszuhalten, zuzulassen und schließlich auch ganz bewusst zu setzen.

Diese Veränderung braucht natürlich ihre Zeit, sie gelingt vielleicht nicht gleich beim ersten Bild, aber mit jedem Mal Malen geht es besser und leichter. Und auch im Alltag schleicht sich das dann langsam und behutsam ein.

Du kriegst jetzt schon beim Lesen weiche Knie und rote Backen – würdest so gern, aber traust Dich nicht? Vielleicht wenigstens eine kurze, unverbindliche Mail? Du brauchst auch gar nicht viel erklären….

Veränderungsturbo Teil 5: Sei nachsichtig mit Dir selbst

Ist das jetzt nicht total widersprüchlich? Ich schreibe hier darüber, wie Veränderungen gelingen sollen, und fordere Dich jetzt auf, nachsichtig mit Dir selbst zu sein?

Auf den ersten Blick vielleicht. Aber ich glaube, dass viele Veränderungen schon allein deswegen nicht gelingen, weil wir viel zu hohe Ansprüche an uns selbst stellen und unsere Erwartungen zu hoch stecken.

Mit einer gesunden Portion Nachsicht kann es gelingen, unsere Veränderungswünsche zu sortieren, in die richtige Reihenfolge und auf ein realisierbares Maß zu bringen.

Was ist wirklich wichtig?

Schau Dir mal all Deine Veränderungswünsche oder guten Vorsätze an – ich nehme jetzt mal ein paar der Top Ten als Beispiel:
Auf Platz 1 liegt hier „Stress vermeiden oder abbauen“.

Ok, das ist zweifellos ganz wichtig. Ich lass‘ mich nicht mehr stressen, das klingt doch gut, oder? Ganz ehrlich? Mich stresst schon die Aussicht darauf. Wie soll ich denn das bewerkstelligen, ständig und überall Stress zu vermeiden? Da muss ich ja den ganzen Tag darauf achten, ob mich jetzt vielleicht dieses oder jenes gerade in Stress versetzt, was ein Stress 😉

Aber jetzt mal ganz im Ernst, ich glaube, so wird das nix. Wenn auch Du zu denjenigen gehörst, die ihr Leben etwas entspannter führen wollen, dann denke mal darüber nach, welche Situationen Du als ganz besonders anstrengend empfindest.

Ein übervoller Terminkalender, der Dich von einem Ort zum anderen hetzt? Oder von einer Aufgabe zur anderen? Welche Termine sind wirklich wichtig und unvermeidbar und welche lassen sich streichen? Wo kannst Du jeden Tag 10 Minuten Zeit für Dich einschieben – nein, keine Widerrede – 10 Minuten gehen immer irgendwie.

Und wie kannst Du diese 10 Minuten ganz bewusst nutzen, um zum Beispiel ein paar Entspannungsübungen zu machen? Oder Dir eine schöne Tasse Tee und ein kleines Stück Schokolade zu gönnen. Ganz bewusste kleine Pausen als Ausgleich einzubauen – und wenn es jeden Tag nur 10 Minuten sind. Das ist immer noch mehr, als den ganzen Tag auf der Stresslauer zu liegen.

Oder nehmen wir als anderes Beispiel – „Gesünder ernähren“ und „Abnehmen„, immerhin auf Platz 5 und 6 der Top Ten. Ich glaube, auch das sind perfekte Beispiele für eine Selbstüberforderung.

Jeden Tag nur noch ganz viel Gemüse und Obst oder die XY-Diät, um mindestens 20 Kilo runterzukriegen. Und am dritten Tag sitzt Du da mit einem Blähbauch von dem ganzen Gemüse und stopfst die Frustschoki in Dich rein, oder? Vielleicht wären auch hier kleine Schritte angebracht, eine langsame Ernährungsumstellung, die mit dem berühmten Apfel am Tag (an apple a day, keeps the doctor away) beginnt und als erstes Ziel hat, dass der Hosenknopf wieder bequem zu geht. Oder, wenn Dir das zu wenig erscheint, dann stelle doch erstmal eine Mahlzeit um – vielleicht das Frühstück. Das besteht bei mir zum Beispiel aus einem Naturjoghurt mit Müsli und einem Apfel. Außer Sonntags, da gibt es Brötchen oder Toast und Frühstückseier und was auch immer das Herz begehrt.

Mit Augenmaß und Machbarkeit rangehen, schön langsam eins nach dem anderen. Ausnahmen müssen möglich sein.

Und wenn der alte Schlamper doch mal wieder die Oberhand gewinnt?

Dann sei nachsichtig mit Dir selbst, morgen ist ein neuer Tag zum Pausen einlegen und Äpfel essen.

Veränderungsturbo Teil 4: Gemeinsam sind wir unausstehlich

Gerade letztens ist mir das aufgefallen – ich stand im Supermarkt und auf einem dieser ominösen Grabbeltische lagen DVDs mit Pilates-Workouts. Der erste Gedanke war „Klasse, da kannst Du das auch zu Hause machen, sind ja auch gar nicht teuer“. Aus dem Hintergrund schoß aber gleich der ‚Kein-Gerümpel-mehr-Ansammler‘„Machste eh‘ nicht!!!“

Und was soll ich sagen? Wo er Recht hat, hat er Recht.

Die DVD wanderte in den Korb zurück – denn allein mach ich das wirklich nicht. Zum Sport gehört für mich unabdingbar dazu ein fester Termin und eine Gruppe. Obwohl mich mit den Teilnehmern dieser Gruppe wirklich nur das eine gemeinsame Interesse, nämlich diesen Sport zu machen, verbindet, brauche ich die Gruppe dafür. Nicht nur die Menschen, sondern auch die Rahmenbedingungen – den festen Termin, den festen Ort. Solche Gruppen gibt es nicht nur für Sport sondern auch zum Malen, Abnehmen, Reden, Frühstücken, als Lerngruppen usw.

Ein Teil dieser Gruppen ist auf Dauer angelegt, als ein begleitendes Angebot, während andere nur zeitweise sinnvoll sind. Nehmen wir beispielsweise die Abnehmgruppe – wenn das Angebot gut ist, sollte es sich auf Dauer selbst überflüssig machen.

Für andere Themen oder dann, wenn die Gruppe allein nicht den gewünschten Effekt bringt, kann es vielleicht interessant sein, sich einen Mentor oder Coach zu suchen – einen Begleiter auf den ersten Schritten, mit dem Ziel diesen Weg bald allein weitergehen zu können. Roland Kopp-Wichmann beschreibt einige Beispiele dafür im Zusammenhang mit der „Aufschieberitis„.

Gerade für Menschen, denen es schwer fällt, den Anfang zu machen, kann eine solche Lösung ideal sein.

Welcher Weg für Dich der Richtige ist, das musst Du selbst herausfinden – fang einfach an!

Veränderungsturbo Teil 3: Wenn der Nutzen groß genug ist

Ich – bekennender Haushalts- und Bürokratiemuffel und Supermarkthasser, erstelle schon seit Jahren jede Woche einen Essensplan.

Wie das zusammenpasst?

Nun – sehr genervt vom ewigen „Was sollen wir heute essen?“ „Fischstäbchen mit Pommes!“, dem Absuchen der Vorräte nach irgendwelchen passenden Kombinationen und hektischem, kurzfristigem Einkaufen fehlender Zutaten wurde ich irgendwo im Web auf diese Idee aufmerksam.

Einmal die Woche planen, dabei gleich den Einkaufszettel schreiben, ein Wocheneinkauf und dann Ruhe vor dem Thema haben – das klang verlockend. Doch gleich meldeten sich die Zweifel an.

„Was, wenn wir dann gar keine Lust auf das Geplante haben? Wenn unvorhergeseheneTermine zwischenrein kommen? Ist das nicht viel zu viel Bürokratie?“

„Naja, wenigstens mal ausprobieren“ meinte die Experimentierfreude. Also gut, beim ersten Mal war es richtig schwierig, überhaupt so viele verschiedene Essen für eine ganze Woche zu finden. Die Familie dazu gerufen und befragt, was sie gern mal wieder essen möchten. Alle Vorschläge notiert und den größten Teil für den Plan verworfen, weil viel zu aufwendig – ein Essen für ein Wochenende mit genug Zeit zum Kochen.

Nach einer längeren Planerei stand er schließlich – unser allererster Essensplan. Den Einkaufszettel dafür zu schreiben war dann ein Klacks und nach dem ersten Einkauf mit diesem ‚geplanten‘ Zettel machte sich ein wohliges Gefühl der Sorglosigkeit breit. „Das mache ich nächste Woche wieder so!“ Der Plantag nahte und der innere Schweinehund – oder wie auch immer diese Stimme bezeichnet werden soll, jaulte ganz leise vor sich hin: „Pfuibähigitt – schon wieder Papierkram und das auch noch freiwillig, das muss doch echt nicht sein“. Aber die Euphorie über die bequeme Kocherei der letzten Woche war lauter und stärker: „Ätschibäbätschi – keinen Kopf mehr zerbrechen müssen, alles im Haus haben und keine Maulerei der Kinder mehr, weil jetzt jeder schwarz auf weiß sieht, wann es wieder sein Lieblingsessen gibt!“

Das klingt jetzt so supereinfach und eigentlich war es das auch.

Mit der Zeit zeigten sich positive Nebeneffekte – dem Haushaltsbudget tat es sehr gut.

Auf Dauer entwickelt sich so auch ein wunderbares Archiv, wenn mir die Ideen fehlen, dann blättere ich einfach im Kalender zurück und sehe dann gleich ein Essen, das wir auch mal wieder machen könnten. Gelegentlich gewinnt der alte Schlamper doch auch mal wieder Überhand für ein paar Tage, doch spätestens nach dem dritten Mal „Fischstäbchen mit Pommes!“ wird der Kalender wieder mit dem Essensplan bereichert.

Wenn die Zeit zum Kochen doch knapper wird als vorhergesehen, dann findet sich immer irgendeine Tauschmöglichkeit und falls tatsächlich mal so viele Reste bleiben, dass es für eine ganze Mahlzeit reicht, dann wird der Rest des Plans geschoben oder getauscht.

Und weil es mir das Leben wirklich erleichtert, komme ich nach jeder Schlamperphase auch gern wieder darauf zurück. Weil für mich der Nutzen so groß ist, dass er alle Gegenstimmen schnell verstummen lässt.

Das heißt nun nicht, dass Ihr jetzt alle anfangen müsst Essenspläne zu schreiben – aber vielleicht gibt es irgendetwas ganz anders, das Euch so nützlich wird, dass Ihr gar nicht mehr aufhören wollt, wenn Ihr mal damit angefangen habt.

PS: Gerade meldet sich die Experimentierfreude zu Wort und meint: „Wenn Ihr auch sowas gefunden habt, dann sagt es mir doch bitte!“

Der Veränderungsturbo Teil 2: Frustfresserei oder bewusster Genuss?

Das Essverhalten verändern ist eine der Veränderungen, die oft allein zu schaffen sind, auch wenn es schwierig ist und nicht immer gelingt.

Ich denke, sehr viel erfolgversprechender aber auch schwieriger als irgendwelche Wunderdiäten ist eine dauerhafte Veränderung des Essverhaltens, die dann auf lange Sicht zu dem gewünschten Ziel der Gewichtsabnahme führen kann.

Um zu erkennen, was ich verändern kann, muss ich zuerst einmal wissen, wie ich es denn jetzt überhaupt mache.

Auch das klingt wieder so selbstverständlich und einfach, schnell zeigt sich aber, das es genau das nicht ist. Es kann hilfreich sein, wenn Du Dir Dein bisheriges Essverhalten bewusst machst. Achte mal darauf, führe vielleicht sogar eine Liste, wann Du was und wie viel davon isst. Vielleicht hältst Du sogar schon mit fest, warum Du das gerade gegessen hast. War es wirklich Hunger oder doch vielleicht Langeweile, Verlockung, Frust oder Gier? Hat es gerade so gut geschmeckt, wolltest Du den Koch/die Köchin nicht kränken, meldet sich vielleicht im Hinterkopf die Stimme aus der Kindheit ‚Iss Deinen Teller leer!‘?

Es gibt tausend Gründe für ein Verhalten, die genaue Motivation kann nur derjenige wissen, der sich so verhält. Im tiefsten Inneren zumindest, ist dieses Wissen da.

Eine Veränderung kann dann einsetzen, wenn wir uns dieses Wissen aus dem tiefsten Inneren bewusst machen und daraufhin dann anfangen, unser Verhalten zu ändern. Wenn ich erstmal weiß, dass dieses Stück Schokolade (oder die ganze Tafel), nichts mit Hunger zu tun hat, kann ich anfangen, mir meiner wirklichen Bedürfnisse bewusst zu werden und daran arbeiten, sie ihrem eigentlichen Sinn nach, zu befriedigen. Dann muss ich keine Frustschokolade mehr in mich reinstopfen, sondern kann mir einen anderen Weg, mit meinem Frust umzugehen, suchen. Dann kann ich aber auch das Stück Schokolade aus vollem Herzen genießen, zumindest dann, wenn ich mir bewusst bin, dass Genuss jetzt mein Bedürfnis ist. Und Genuss verträgt sich nicht, mit einer hastig heruntergeschlungenen Schokoladentafel, sondern verlangt nach dem langsamen, ganz bewussten Genießen, dem vollen Auskosten des Geschmacks.

Es erfordert nur eine gehörige Portion Mut, sich diesem Wissen zu stellen, denn wer gesteht sich schon gern ein, ich bin gierig oder frustriert?

Angehörige von Suchtkranken, Demenzpatienten, ADS-Kindern

Schreibabys, behinderten Kindern, Alkoholikern, Pflegekindern, verhaltensauffälligen Kindern, Parkinsonpatienten, MS-Kranken, Depressiven, Menschen mit psychischen Erkrankungen, Pflegebedürftigen und ganz vielen Anderen, haben oft eins gemeinsam:

Sie stecken bis über beide Ohren in den Problemen ihrer Liebsten und vergessen dabei oftmals ihre eigenen Bedürfnisse.

Das laugt auf Dauer aus und kann im schlimmsten Fall zu Burnout und Depressionen oder auch zum körperlichen Zusammenbruch führen und damit dann auch dazu, dass es nicht mehr möglich ist, sich für die erkrankten Angehörigen einzusetzen.

„Achte auf Dich selbst!“

Das meint keineswegs Egoismus und Vernachlässigung der Pflichten, sondern beinhaltet die Erkenntnis, wenn es mir nicht gut geht, kann ich für niemanden sorgen.

Sorge also dafür, dass Du ausreichend Pausen hast, Zeit für Dich allein.

Gehe Deinen eigenen Interessen nach.

Besorg Dir Hilfe, nimm sie in Anspruch.

Definiere Deine Grenzen und achte darauf, dass sie eingehalten werden.

Gerade wenn so viel an Dir hängt, ist es wichtig, mit Deinen Kräften zu haushalten.

Selbsthilfegruppen können Dir Rückhalt und Verständnis geben. Beratungsstellen gibt es für so ziemlich jedes Problem, sie warten nur darauf, dass Du Kontakt zu ihnen aufnimmst.

Und auch das Begleitete Malen kann Dir eine hilfreiche Auszeit sein, um Kraft aufzutanken und Dir Deiner Gefühle und Bedürfnisse bewusst zu werden. Hast Du es schon mal ausprobiert?

Interview mit Steffen Flügler „Die Treppe in die Dunkelheit“

Steffen Flügler, Autor von „Die Treppe in die Dunkelheit“, war so freundlich mir in einem Interview einige Fragen zu beantworten.

In der „Treppe in die Dunkelheit“ erzählst Du Deine Geschichte. Was hat Dich motiviert, dieses Buch zu schreiben?

Ich bin mit meiner Geschichte schon vor meinem Buch an die Öffentlichkeit gegangen, indem ich Suchtvorträge hielt. Mir wurde dadurch immer klarer, dass meine Lebensgeschichte doch einen sehr positiven Sinn haben kann, wenn ich sie weitergebe und somit Aufklärungsarbeit leiste. So ist auch langsam die Idee mit dem Buch geboren worden.

Die Person, die mich am meisten motiviert hat meine Geschichte aufzuschreiben, war meine jüngere Schwester, die selbst Autorin ist.

Mir war es von Anfang an sehr wichtig, in erster Linie nicht mitzuteilen WAS, sondern WARUM ich das erlebt habe. Diese Botschaft war meine stärkste Motivation zu schreiben.

Wie würdest Du persönlich Sucht definieren?

Sucht in ein paar Sätzen zu definieren, damit es auch für Außenstehende verständlich ist, ist unheimlich schwer. Dafür ist die Sache viel zu komplex. Ich habe für mein Buch 240 Seiten gebraucht, um Sucht zu definieren. Ich könnte locker noch einmal 240 Seiten schreiben, um genauer darauf einzugehen und wäre immer noch nicht fertig.

Wenn man Sucht im Allgemeinen definieren will, sollte man jedem einzelnen Merkmal der Abhängigkeit eine Definition geben. Diese einzelnen Merkmale sind alleine schon sehr komplex in sich.

Ab welchem Punkt wird etwas zur Sucht?

Meiner Meinung nach kann man nicht exakt sagen, ab diesem oder jenem Punkt wird etwas zur Sucht. Die Grenzen sind sehr schwer wenn überhaupt zu erkennen. Außerdem sieht jeder diese Grenze woanders.

Ist jemand süchtig, der sagt: „Ich brauche jeden Morgen zwei Tassen Kaffee, oder mit mir ist nichts anzufangen.“??? Ich denke, bei so einer Aussage gehen die Meinungen weit auseinander, ob süchtig oder nicht.

Natürlich, je häufiger sich meine Gedanken um eine Substanz drehen, je mehr ich meinen Tag danach ausrichte, je mehr es mein Handeln bestimmt, umso tiefer stecke ich in der Abhängigkeit.

Ab welchem Punkt dieses Verhalten zur Sucht geworden ist, ist im Nachhinein nur sehr schwer nachvollziehbar.

Speziell beim Thema Alkohol – wo läuft da, Deiner Meinung nach, die Grenze zwischen ungesundem Konsumverhalten und dem, was akzeptabel ist?

In der Vergangenheit wurde davon ausgegangen, dass ein täglicher Konsum von 20 g reinem Alkohol bei einer Frau und 40 g bei einem Mann eher unbedenklich wäre (20g reiner Alkohol entspricht etwa 0,5 Liter Bier oder ein Viertel Liter Wein).

Mittlerweile weiß man aber, dass diese Menge bei täglichem Konsum über einen längeren Zeitraum auf jeden Fall schädlich für Leber und Gehirn ist. Selbst der tägliche Konsum der Hälfte dieser Menge wird nicht mehr als unbedenklich angesehen.

Ich selbst finde es in Ordnung, wenn jemand zum Essen oder bei einem speziellen Anlass ein Bier, ein Glas Sekt oder Wein trinkt. Im Gegensatz dazu halte ich es für sehr bedenklich, wenn jemand die ganze Woche nicht trinkt, aber sich dafür am Wochenende fünf Bier hintereinander reinschüttet, um den Stress von der Arbeitswoche abzubauen.

Gerade bei Kindern ist in den letzten Jahren zu beobachten, dass immer mehr immer früher zu Alkohol greifen, bis hin zur ausgewachsenen Alkoholvergiftung mit Krankenhauseinweisung. Was sind Warnsignale, bei denen Eltern oder Lehrer aufmerksam werden sollten?

Als Warnsignale würde ich folgende Punkte beachten:

-Wechsel des Freundeskreises

-Schulischer Einbruch

-Vernachlässigung der Interessen (z.B. früher nachgegangenen Hobbys)

-Extreme Unzufriedenheit, Aggression, Niedergeschlagenheit oder ähnliche Emotionen

-Stimmungsschwankungen

-Rückzug aus dem sozialen Umfeld

-Geheimniskrämerei

-Lügen

-Chronischer Geldmangel

Solche und weitere Signale werden oft in verschieden starker Ausprägung bereits am Anfang von Alkohol-bzw. Drogenmissbrauch sichtbar. Da aber viele dieser Erscheinungsbilder und Veränderungen gerade gehäuft in der pubertären Phase auch ohne Rauschmittelkonsum auftreten, ist es auch hier sehr schwierig abzugrenzen.

Ich würde auf jeden Fall dazu raten, ob Eltern oder Lehrer, den Jugendlichen bei Verdacht sofort darauf anzusprechen.

In Deinem Buch steht, dass Du mit zwölf Jahren angefangen hast Bier zu trinken, um ‚lockerer‘ zu werden. Kannst Du Dir im Nachhinein irgendwas vorstellen, was vielleicht die weitere Suchtkarriere an diesem Punkt hätte verhindern können? Oder – konkret gefragt – was können Eltern tun, wenn sie den Eindruck haben, dass ihre Kinder in dieser Altersklasse Alkohol trinken?

Im Nachhinein muss ich sagen, dass mich schon ziemlich schnell nichts mehr vom Alkohol hätte abhalten können. Mir hat das einfach zu viel gegeben. Ich war plötzlich in der Lage, in kürzester Zeit, Mut, Selbstvertrauen, Zugehörigkeitsgefühl und vieles mehr zu erlangen. Ich war nach zwei Bier ein völlig anderer Mensch, mit völlig anderen Charakterzügen. Ich konnte plötzlich der Mensch sein, der ich schon immer sein wollte.

Wenn ein Kind anfängt Alkohol zu trinken und hat dadurch einen solch enormen „Gewinn“, ist der Zug eigentlich schon abgefahren und kaum noch aufzuhalten. Deswegen sollten Eltern ihre Kinder aufklären, bevor es soweit kommt.

Klar wurde mir in meinem Elternhaus und der Schule gesagt, dass Alkohol und Drogen „schlecht“ sind, man davon abhängig wird und letztendlich daran stirbt. Aber solche Aussagen geraten schnell in Vergessenheit, wenn man richtig gute Gefühle durch den Konsum bekommt.

Mir wurde nie gesagt, dass Alkohol und Drogen zuerst einmal gute Gefühle auslösen.

Mir wurde nie gesagt, dass Alkohol und Drogen zuerst einmal zu Höchstleistungen anspornen.

Also wurde mir auch nie gesagt, dass genau diese Punkte die Türe zu einer Suchtkarriere öffnen.

Deswegen arbeite ich mit Schülern, Eltern und Lehrern und nur deswegen habe ich mein Buch geschrieben. Ich möchte, dass sich so viele Menschen wie möglich ein klareres Bild über die Sucht machen können.

2010 gebe ich verstärkt Veranstaltungen für Eltern und Lehrer. Es liegt ja auf der Hand, dass man nur aufklären kann, wenn man Wissen über die Sache hat, über die man aufklärt. Dieses Wissen möchte ich vermitteln.

Ob es „die“ typische Suchtpersönlichkeit gibt, ist ja mittlerweile umstritten. Gibt es bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, die dafür anfälliger machen, süchtig zu werden?

Ich würde auch nicht behaupten, dass es eine typische Suchtpersönlichkeit gibt. Wer allerdings im hohen Maße empfänglich für Minderwertigkeitsgefühle, Angst, Alleinsein, Melancholie, Leistungsdruck oder ähnliches ist, ist mit Sicherheit gefährdeter als andere. Es ist dabei aber zu berücksichtigen, ob, oder inwieweit die Person diese Gefühle mit einer Substanz ausgleichen kann.

Du beschreibst auch das Netzwerk der Co-Abhängigen, die mit ihrem gut gemeinten Verhalten dazu beitragen, die Sucht aufrecht zu erhalten. Was können Angehörige, Freunde, Partner von Süchtigen sinnvoll tun, um zu helfen?

Helfen kann man eigentlich nur, indem man nicht mehr hilft. Also, den Süchtigen fallen lässt und ihm weder finanzielle noch emotionale Hilfe gewährt. Der Angehörige sollte dem Abhängigen unmissverständlich zeigen, dass er ihn aus seinem Leben verbannt hat, solange dieser nicht bereit ist, sein Leben grundlegend zu ändern (Therapie).

Für Freunde, Lebenspartner und insbesondere für Eltern, ist das natürlich ein harter und manchmal kaum zu bewältigender Schritt. Man unterstützt ja den geliebten Menschen, wenn es ihm schlecht geht und plötzlich soll man ihn auf der Straße liegen lassen. Für die meisten Leute ist das nur ganz schwer nachvollziehbar.

Ich empfehle jedem Angehörigen eine Selbsthilfegruppe oder Suchtberatungsstelle aufzusuchen, um sich zu informieren.

Angehörige ahnen oft nicht im Entferntesten, wie tief sie mit der Sucht des Abhängigen verstrickt sind.

Vielen Dank für die interessanten und aufschlußreichen Antworten.

Was ist das allerwichtigste Wort?

Danke? Bitte? Essen? Trinken? Jawoll? Nein!

Meiner Meinung nach ist das allerwichtigste Wort, das es überhaupt gibt das „NEIN!“.

Laut und deutlich ausgesprochen, kann es lebensrettend sein.

„Nein!“, wenn der Schulfreund noch schnell vor dem Auto dahinten über die Strasse rennen will.

„Nein!“, wenn der jugendliche Kumpel Bier, Schnaps Joint oder sonstwas anbietet.

„Nein!“, wenn die Tante, der Onkel oder sonstwer das herzige Kleinkind gegen seinen Willen busseln will.

Eigentlich ganz selbstverständlich und doch nicht so einfach. Wie oft versuchen wir Erwachsene uns mit „Notlügen“ aus unangenehmen Situationen zu befreien? Ob es nun Verleugnenlassen am Telefon ist oder „wichtige, kurzfristig angesetzte Termine“, die uns daran hindern, Zusagen einzuhalten.

Und wie oft werden Kinder ob ihrer Unhöflichkeit gerügt? „Komm schon, gib der Tante ein Küßchen!“ „Wie kannst Du nur zur Oma sagen, dass der Pullover, den sie Dir geschenkt hat, kratzig ist, der ist doch ganz weich!“

Ich denke, es ist sehr wichtig „Nein!“ sagen zu dürfen, das zeigt, dass sich jemand seiner Grenzen bewusst ist und deren Einhaltung fordert. Wer zu allem ja und amen sagt, sich alles gefallen lässt, der wird leicht zum Opfer.

Dabei soll aber nicht einer grenzenlosen Erziehung das Wort geredet werden, ganz im Gegenteil. Kinder können noch nicht alles selbst entscheiden und müssen durchaus ein „Nein!“ der Eltern akzeptieren. Es muss ihnen aber gleichzeitig auch immer wieder bewusst gemacht werden, warum dieses „Nein!“ gefallen ist, entweder in der entsprechenden Situation oder danach in einem klärenden Gespräch.

Auch wenn man sich dann als Elternteil gelegentlich vorkommt wie ein plappernder Papagei. „Nein, wir kaufen jetzt kein Überraschungsei weil es gleich leckeres Mittagessen gibt“ und ein „Nein, wir rennen nicht über die Strasse, zuerst müssen wir schauen, ob ein Auto kommt!“.

Ich selbst habe es so gehalten, dass ich meine „Nein!s“ auf das Notwendigste beschränkt habe und schon früh ein „Nein!“ meiner Kinder akzeptiert habe, wenn es akzeptabel war. Im Sommerkleidchen in den Kindergarten, bei 12° Außentemperatur? Das gab es genau einmal, ohne große Diskussion davor und ohne weitere Diskussionen danach (einmal frieren war wirkungsvoller als viele Worte). Die wenigen, notwendigen „Nein!s“ wurden aber klaglos akzeptiert.

Grenzen setzen und Nein-Sagen, das betrachte ich als überlebenswichtige Strategien von Kindesbeinen an. Und als Schutz vor allen möglichen Gefahren, von Sucht bis zum Kindesmißbrauch.

Doch oft erlebe ich es im Atelier, dass es erwachsenen Malenden – speziell Frauen – schwer fällt, klare Grenzen auf ihrem Bild zu malen. Woher das kommt und was es bedeutet? In der Regel sind das Menschen, denen es auch im Leben schwer fällt, Grenzen zu ziehen. Das Üben auf dem Papier trainiert dann dieses neue Verhaltensmuster. Und schützt so vor Burnout, Stress und ausgenutzt werden.

Wie habt Ihr das neue Jahr begonnen?

Hoffentlich habt Ihr es gut angefangen und sitzt jetzt höchstens noch ein bisschen müde von einer schönen Feier da.
Oder quält Euch doch ein ausgewachsener Kater? Dann nichts wie raus an die frische Luft und eine Runde flott spazierengehen. Damit das Tempo stimmt, gebe ich Euch ein Lied mit auf den Weg, eines, das zum Jahresanfang passt, aber eigentlich ein Lied für jeden Tag sein sollte:

Alt werden wollen Alle – alt sein will Niemand

So formulierte das vor etwa 15 Jahren meine Großmutter. Sie war damals mit fast neunzig Jahren schon eine sehr alte und durchaus auch weise Frau. Sie nahm einen Trend vorweg, der sich in den folgenden Jahren immer stärker auswuchs. „Alt“ allein schon dieser Begriff wurde in den letzten Jahren mehr und mehr durch politisch korrektere Redewendungen ersetzt. Aus den Altenheimen wurden Seniorenresidenzen, aus den wirklich alten Menschen wurden „Hochbetagte„, die zunehmend mit Demenz zu kämpfen haben.

Daneben hielt die Generation der „Best-Agers“ Einzug. Menschen, die recht früh den beruflichen Vorruhestand antreten und noch viele Jahre auf (hoffentlich) körperlich und geistig hohem Niveau zu leben haben. Gerade für diese Gruppe bringt der Vorruhestand oft auch eine eher schwer zu verarbeitende Veränderung mit sich. Nicht alle gehen mit Begeisterung aus dem Arbeitsleben, manche fühlen sich aufs Abstellgleis abgeschoben und hätten eigentlich gern noch ein paar Jahre weitergearbeitet. Für sie ist es an der Zeit, ihr Leben neu zu definieren und mit neuen Inhalten zu füllen. Auch hier kann das begleitete Malen eine wertvolle Hilfe sein, den neuen Lebensabschnitt mit Sinn zu erfüllen.

Gar nicht so selten treffen auch diese beiden Gruppen aufeinander, die hochbetagten Eltern werden zunehmend pflegebedürftiger und stellen eine neue Anforderung dar. Diese Situation kann zu einer großen Belastung werden, auch dann, wenn die Pflege nicht im Haushalt erfolgt. Begleitetes Malen kann helfen, die dabei aufkommenden, oft erschreckend intensiven, Gefühle zu verarbeiten.