Wahrnehmung wird in der Kunstgeschichte getäuscht

Auch in der Kunstgeschichte gibt es zahllose Beispiele von Künstlern, die sich die Täuschbarkeit der Wahrnehmung zu Nutze machten.

Salvador Dali hat das Gesicht der Mae West (kann als surrealistisches Lippensofa benutzt werden) oder auch den Sklavenmarkt am Strand (mit unsichtbarer Büste Voltaires) gemalt, um nur zwei Beispiele zu nennen.

M.C. Eschers Werk beruht zu einem großen Teil auf diesen Efekten, man denke nur an seine zeichnenden Hände oder an seine Kacheln. Auf der Fraktalwelt gibt es zu den Kacheln eine ausführliche Erläuterung, inklusive Anleitung, wie man selbst solche Werke erstellen kann.

Doch auch schon vor längerer Zeit gab es Künstler, die die Welt auf den Kopf stellten, wie Arcimboldo mit seinem Gemüsegärtner beweist, den man so oder so betrachten kann.

Ausgetrickst

Eine sehr gelungene Zusammenstellung von Telekolleg Beiträgen zur Wahrnehmung findet sich auf dem Psychosophieblog.

Im ersten Beitrag dort wird schon kurz aufgezeigt, was ich zum heutigen Schwerpunktthema machen wollte, das was landläufig gern als „optische Täuschungen“ bezeichnet wird.

Dieser Begriff wird dem eigentlichen Phänomen jedoch nicht gerecht, es ist nicht die Optik, die hier getäuscht wird, sondern genauer betrachtet die Wahrnehmung. Die Optik (das Auge) sendet unverändert die gleichen Signale ans Gehirn, dort entscheidet sich, was wir ’sehen‘ oder nicht. Was siehst Du?

Noch mehr solcher Beispiele gefällig? Bei Michael Bach gibt es jede Menge davon.

Malen heißt sehen lernen

Immer wieder, komme ich beim Malen an den Punkt, da stimmt irgendwas nicht auf dem Bild.

Aber was?

Ich kann es gar nicht genau lokalisieren, aber irgendetwas ist falsch, kann so nicht sein, verdirbt den Gesamteindruck.

Wie hilfreich ist dann eine Malbegleiterin, die als Außenstehende einen klareren Blick hat oder auch mal Modell steht, aber die ist ja nicht immer verfügbar.

Und wenn ich die Ursache dann gefunden habe, geht die Sucherei und Grübelei los.

„Wie muss das denn richtig aussehen? Mein Gedächtnis versagt, noch nie habe ich so genau darauf geachtet, wie denn nun ein Fuß aussieht, wenn jemand so in halber Schrittstellung auf einen zukommt. Auch die Logik und das Figurenkonstruieren hilft mir hier nicht weiter, alles was ich mache, sieht einfach nur falsch aus. 10 Bücher weiter dann die Erkenntnis, dass es wohl vielen anderen genauso geht, denn in dieser Haltung werden bei erstaunlich vielen Bildern, die Füße einfach außerhalb des Bildes gelassen. Auch eine Möglichkeit…
…warum eigentlich nicht?

Und nächstes Mal guck ich ganz genau, ganz sicher! ;)“

Ich schule beim Malen meine visuelle Wahrnehmung, nicht nur während des Malens selbst, das überträgt sich auch in den Alltag.

Genauer schauen, bewusster wahrnehmen, einen Anblick verinnerlichen.

Ich versuche die anderen Sinne zu aktivieren, wie fühlt sich der Rücken eines springenden Delfins an? Die Bewegung der Hand überträgt sich auf das Papier und ermöglicht es manchmal, eine Form, die rein visuell nicht vor meinem inneren Auge auftaucht, doch noch zu erkennen.

Und immer wieder begegnen mir kleine Wunder, die ich noch nie zuvor richtig wahrgenommen habe – wie sehen eigentlich die Beine eines Marienkäfers aus? Wie lang ist der Hals einer Giraffe denn nun? Wie verfärbt sich eigentlich so ein Herbstblatt?

Ich sehe die Welt mit anderen Augen…

Wahrnehmungsstörungen

Gibt es Störungen bei der Weiterleitung oder bei der Verarbeitung im Gehirn, so kommen Informationen trotz intakter Sinnesorgane nicht oder nicht vollständig an. Ist beispielsweise der Sehnerv geschädigt, so kann das Auge zwar sehen, das Gehirn erhält die Sehinformationen aber nicht oder unvollständig.

Beim Säugling findet in den ersten Lebensmonaten das eigentliche „Sehenlernen“ statt. Dafür gibt es ein enges Zeitfenster, was bis dahin nicht gelernt ist, kann auch später nicht mehr gelernt werden.

In den 70er Jahren  deckten die Nobelpreisträger Torsten Wiesel und David Hubel jungen Katzen ein Auge ab. Die Katzen blieben auch später auf diesem, völlig gesunden Auge, blind. Auch beim Menschen ist diese Phänomen nachweisbar, Kleinkinder oder Erwachsen, die in der Vergangenheit wegen einer Linsentrübung operiert worden sind, blieben blind, obwohl das Auge nach dem Eingriff eigentlich funktionierte. Säuglinge, die früh genug wegen der gleichen Erkrankung operiert wurden, konnten das Sehen noch lernen.

Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass nun in allen Bereichen Hopfen und Malz verloren ist, wenn Störungen der Wahrnehmung vorliegen. Nur in den wenigsten Fällen ist die Wahrnehmung dann dauerhaft verloren. Das Gehirn ist erstaunlich anpassungsfähig, häufig benötigte Verbindungen werden als „Schnellstraße“ angelegt. Und auch geschädigte Bereiche können durch neue Vernetzungen in gewissen Grenzen wiederhergestellt werden.

Wahrnehmung – mehr als nur 5 Sinne

Immer wieder ist, auch in meinen Artikeln, von der Wahrnehmung die Rede.

Was genau ist damit denn gemeint?

Die Sinnesorgane erscheinen zunächst noch ganz einfach zu erklären, wir sehen mit den Augen, hören mit den Ohren, riechen mit der Nase und schmecken mit der Zunge.

Doch schon beim Fühlen wird es schwieriger, das entsprechende Sinnesorgan zuzuordnen. Die Haut leistet einen Teil dieser Arbeit, doch auch in den tieferliegenden Körperregionen gibt es „Rezeptoren“, die als „Muskelsinn“ die Stellung der Körperteile zueinander fühlbar machen.

Und wie war gleich noch der Geschmackssinn bei einer ordentlichen Erkältung? Wer nichts riecht, der schmeckt auch kaum etwas.

Die Sinnesorgane sind jedoch nur ein Teil der Wahrnehmung. Sie leiten ihre Eindrücke über die Nerven weiter an das Gehirn. Dort findet die eigentliche Verarbeitung der Sinnesreize statt. Nur die Sinnesreize, die dort auch weiterverarbeitet werden, sind Bestandteil der Wahrnehmung.

Wie sieht nun diese Weiterverarbeitung aus?

brrr, sauer
brrr, sauer

Nehmen wir an, wir betrachten eine Zitrone. Das Auge erkennt die Farbe, die Form, die Helligkeit und meldet all diese Informationen an das Gehirn weiter. Dort werden die gemeldeten Merkmale der Gedächtnisinformation Zitrone zugeordnet und gleich die zugehörigen Informationen über Geruch, Geschmack und wie sich eine Zitrone anfühlt bereitgestellt. Und auch wenn wir Zitronenduft wahrnehmen, funktioniert die Verarbeitung im Gehirn und stellt uns die Bilder und sonstigen Informationen zur Verfügung.

Wie das genau funktioniert, ist bisher noch nicht wissenschaftlich erklärbar.

Eine der Grundvoraussetzungen dafür, dass das funktionieren kann, ist jedoch altbekannt. Wir müssen irgendwann kennengelernt haben, dass das eine Zitrone ist. Wie sieht sie aus, wie fühlt sie sich an, wie riecht sie, wie schmeckt sie? Je öfter wir eine Zitrone wahrgenommen haben, desto schneller stellt uns das Gedächtnis die Informationen zur Verfügung.

Noch eine kleine Wahrnehmungsübung

Heute versuchen wir uns zwei Minuten lang auf die Wahrnehmung bei einem alltäglichen Vorgang zu konzentrieren, beispielsweise beim Spülmaschine ausräumen.

Wie fühlt sich das Geschirr an? Warm oder kalt? Glatt oder rauh? Feucht oder trocken?

Wie fühlt sich mein Rücken? Angestrengt? Verspannt?

Was höre ich? Klappern der Teller? Klirren des Bestecks?

Was rieche ich?

Was sehe ich?

Wie fühle ich mich dabei? Alle Last auf meinen Schultern oder Freude über das saubere Geschirr?

Wie geht es dir dabei?

Wie zusammenkommt, was zusammengehört

Nach Bettina Egger ist mit der gerichteten Tastfigur die Entwicklung der Urformen abgeschlossen. Die Urformen sind die Grundlage der visuellen Wahrnehmung und bleiben als Ausdruck des Körperempfindens erhalten.
Die weitere Malentwicklung verläuft in Richtung figurative Darstellung und Raumentwicklung, also dahin, das gesamt Blatt zu erobern.
Dabei kommen die Hirnhälften ins Spiel, denen ja allgemein nachgesagt wird, dass die linke Hälfte für Sprache und das lineare, logische Denken, die rechte dagegen für Intuition und ganzheitliche Wahrnehmung zuständig ist.
Das gut koordinierte Zusammenspiel der beiden Hirnhälften sorgt für eine umfassende, gut entwickelte Wahrnehmung.
In Kinderbildern zeigen sich die beiden Arten der Wahrnehmung zunächst parallel: als „Körper-Ego-Bilder“ und „Geist-Ego-Bilder“. Beide Darstellungsarten können in einem Bild auftreten.

Körper-Ego-Bilder

Die Körper-Ego Bilder als Abgesandte der rechten Hirnhälfte entstehen, indem sich das malende Kind in das hineinfühlt, was es malen möchte. So wie sein eigenes Körperempfinden ist, wenn es sich in einen Tisch „hineinprojiziert“, malt es diesen dann auch:

Körper Ego Bild

Die Körper-Ego-Bilder sehen zumeist so aus, als ob man etwas aus der Vogelperspektive betrachtet und plattdrückt.

Geist-Ego-Bilder

Im Gegensatz dazu stehen die Geist-Ego-Bilder. Diese werden „linkshirnig“ erzeugt, durch sehen und wissen. Nach einem Denkprozess wird das Ergebnis aufs Papier gebracht.

Geist-Ego
Geist-Ego

Der Geist-Ego-Tisch kann auch in gleicher Darstellung über 4 Beine verfügen.

integration der hirnhälften
Integration der beiden Darstellungsarten

Körper-Ego und Geist-Ego Bilder treten gleichzeitig auf. Lässt man ein Kind lange und oft genug frei malen, entwickelt es ein eigenes räumliches Wahrnehmungs- und Darstellungsvermögen. Das kann zum Beispiel über den folgenden Weg geschehen:

Die Verknüpfung verbindet die Elemente von Körper-Ego und Geist-Ego, die Integration schließlich ist die eigene perspektivische Darstellung.
Diese Entwicklung läuft normalerweise bis zum Alter von etwa 10 -11 Jahren ab. Leider werden Kinder häufig durch Schule oder Umfeld zu früh auf die Probleme der perspektivischen Darstellung aufmerksam gemacht. Sie bekommen Lösungen angeboten. Diese erlernten Lösungen sind jedoch nicht wirklich verstanden.
Viel zu viele Kinder verlieren noch vor der Vollendung dieser Integration die Lust am eigenen, freien Malen und Zeichnen. Entweder verweigern sie es völlig oder sie flüchten in schablonenhaftes Abzeichnen.

Die Entwicklung kann auch im Erwachsenenalter nachgeholt werden

Fangen sie dann als Erwachsene wieder an zu malen, sind die erlernten Regeln der Perspektive längst vergessen. Das Malen beginnt auf der Entwicklungsstufe neu, auf der als Kind aufgehört wurde. Viele dieser Erwachsenen qualifizieren dann ihre eigenen Werke ab und glauben sich völlig ohne Talent.
Doch auch im Erwachsenenalter kann die Entwicklung weitergeführt werden und zum wirklich eigenen Darstellen, Gestalten und Wahrnehmen werden.

kleine Wahrnehmungsübung am Montagmorgen

Hallo, ich wünsche Dir eine wunderschöne neue Woche!

Und damit sie gleich gut anfängt, biete ich Dir eine kleine Wahrnehmungsübung zum Mitmachen an.

Es ist ganz einfach (eigentlich;)) , nimm Dir zwei Minuten Zeit, setze Dich bequem hin und achte ganz bewusst darauf, was Du wahrnimmst. Bewerte deine Wahrnehmung nicht.

Was hörst Du?

Was siehst Du?

Was riechst Du?

Was schmeckst Du?

Was fühlst Du?

Was spürst Du?

Im Inneren und im Äußeren?

Äußere Deine Wahrnehmungen!

Ich sehe den Baum vor dem Fenster, seine Blätter bewegen sich im Wind.

Ich spüre, dass mein linker Fuß kälter ist als der rechte.

Ich höre fernen Autolärm und Vogelgezwitscher.

Ich fühle, wie angenehm weich mein Shirt auf der Haut ist.

….

Und – ganz einfach? Oder doch ganz schön schwer?

Was hast Du wahrgenommen? Ist Dir die Übung leichtgefallen?

Urformen – von der Achse zur gerichteten Tastfigur


Die Achse stellt die nächste Stufe der kindlichen Malentwicklung dar. Sie entwickelt die Wahrnehmung der Strukturen im Innern weiter. Nun entwickelt das Kind ein Gefühl für Symmetrie und Seitigkeit. Es beginnt das zu vergleichen, was es von außen wahrnimmt, mit dem, was es von innen kennt. In dieser Zeit fängt es an die Umwelt kennen zu lernen.

Die Achse, auf dem Umriss oder im Inneren des Körpers

Im Anschluß daran entdeckt das Kind mit dem Urkreuz die Orientierung seiner Innenwelt. Damit wird die Grundlage für die Orientierung im Raum geschaffen. Ein Gefühl für senkrecht – waagrecht, oben – unten, rechts – links entsteht. Das Urkreuz steht aufrecht im Raum. Diese Entwicklungsphase ist der Beginn des zielgerichteten Handelns.

urkreuz
Das Urkreuz

Mit den Pulspunkten wird es lebhaft. Sie drücken Bewegung und Leben aus. In der Körperwahrnehmung findet das Leben Ausdruck im Herzschlag, Puls und Atem.
Pulspunkte werden rhythmisch und mit Geräusch gemalt.

pulspunkte
Pock, pock, pock – Pulspunkte

Ein typisches Beispiel für Interpretationen von Kinderbildern ist die unorientierte Tastfigur. Zu verlockend ist es aber auch, darin eine Sonne zu sehen. Sie zeigt aber ganz allgemein auf, wie das Kind mit den ersten Schritten anfängt, sich die Umwelt zu erobern. Es geht weg, kommt zurück, um sich gleich darauf wieder zu entfernen. Die unorientierte Tastfigur zeigt uns dieses Lebensgefühl des Kindes.

Eine der Urformen, die unorientierte Tastfigur
Eine der Urformen, die unorientierte Tastfigur

Das Kind fängt nun an, sich im Raum zu orientieren. Es stellt nun fest, dass seine Wünsche nicht immer denen der Mutter entsprechen. Es beginnt die Mutter eindeutig der Umwelt zu zurechnen und entwickelt und äußert den eigenen Willen. Ausdruck dieser Befindlichkeit ist die gerichtete Tastfigur.

Die gerichtete Tastfigur
Die gerichtete Tastfigur

Urformen – vom Kritzelknäuel ins Zentrum

Gibt man einem Kind zum ersten Mal einen Stift in die Hand, fängt es schnell an loszukritzeln. Es entdeckt, dass es mit dem Stift, Spuren auf dem Papier hinterlässt.

Kritzelknäuel
Kritzelknäuel

Diese entsprechen den noch ziemlich ziellosen Bewegungen des Neugeborenen. So wie das neugeborene Kind noch keine räumliche Orientierung hat und sich seiner Körpergrenzen noch nicht bewusst ist, sind auch die Kritzellinien noch diffus und ungerichtet. Sie verdichten sich aber in kurzer Zeit zu Knäueln.
In der nächsten Stufe fängt das Kind an, sich als eigenständiges Wesen wahrzunehmen. Es entwickelt eine Richtung und fängt an Ich und Umgebung zu unterscheiden. Es beginnt, sich von der Mutter loszulösen.

Spirale
Spirale

In der Malentwicklung wird diese Entwicklung mit der Spirale wiedergegeben. Wir Erwachsenen sind spätestens jetzt in der Versuchung, Gegenstände in diese Bilder hineinzuinterpretieren, erinnert uns doch die Spirale vielleicht an ein Schneckenhaus. Damit werden wir aber der kindlichen Bildersprache nicht gerecht. Diese Urformen geben vielmehr die Wahrnehmung, insbesondere die Körperwahrnehmung der Kinder wider.

Die endgültige Entdeckung, dass der Körper eine Grenze hat und Ich ein eigenes Wesen bin, bildet der Kreis. Es gibt eine Innenwelt und eine Außenwelt.

Kreis
Kreis

Dieser Entdeckung folgt die Erkenntnis, dass die Innenwelt über Strukturen verfügt. Der Bauch und insbesondere der Nabel wird als Zentrum dieser Innenwelt entdeckt.

Ich bin der Nabel der Welt
Ich bin der Nabel der Welt