Manchmal entwickeln die Bilder ein richtiges Eigenleben. Ein schönes Beispiel dafür ist mir im Rahmen der Ausbildung widerfahren.
Ich begann das Bild mit einer Farbspur in rot. Mit geschlossenen Augen einfach irgendwie die Farbe aufs Papier gebracht und dann geschaut, was das so sein könnte. Ah, ganz klar, eine Himbeere, riesengroß und saftig-lecker.
Beim Ausarbeiten dieser Himbeere, fing die dann aber an zu zicken und so gar nicht mehr so zu wollen wie ich. Der größte Teil war schon fertiggestellt, eigentlich musste jetzt nur noch ein Blatt unter die Beere, doch irgendwie klappte es nicht so recht.
Ich merkte, dass es mir nicht gelingen wollte, die Himbeere nur als leckere, verlockende Frucht darzustellen und noch ehe mir so wirklich klar war, was ich da mache, fing ich an, einen Wurm reinzumalen. Aber so richtig mit Genuss und Befriedigung.
Das Bild war noch nicht richtig fertig, da konnte ich meiner Malbegleiterin auch schon erklären, was es mit dem Wurm auf sich hatte – meine Eltern hatten Himbeeren im Garten, Riesenmengen an Himbeeren, die immer restlos gepflückt und verwertet werden mussten. Himbeermarmelade, Himbeerquark, Himbeerkuchen, Himbeersaft usw. Und das alles immer in so einer genussfeindlichen Haltung „das haben wir, das muss weg!“.
Der Wurm war meine späte Genugtuung dafür.
Und mir ging es nach diesem Bild so richtig guuuuuuuut!
Gerade erwachsenen Malenden fällt es oft schwer, den Anfang zu finden. Deshalb gibt es für Erwachsene beim begleiteten Malen verschiedene Möglichkeiten, Bilder zu beginnen:
Eigene Idee / Vorstellung: Der Malende hat schon eine Idee, was er malen möchte. Prima, fang bitte in der Mitte des Blattes an damit.
Einstieg über Assoziation zu einer Farbe: Welche Farbe spricht Dich besonders an? Was fällt Dir zu dieser Farbe ein? Was hat diese Farbe? Kennst Du das irgendwo her?
Oder auch:
Welche Farbe spricht Dich denn gar nicht an? Was fällt Dir dazu ein? Woher kennst Du diese Farbe?
Einstieg über eine Spur: Mit einer ausgewählten Farbe wird mit geschlossenen Augen(ev. auch mit der ungeübten Hand) eine Farbspur auf Papier gebracht. Das, was in dieser Spur erkannt wird, wird ausgearbeitet. Beim ersten Mal sollte das Bild möglichst nicht mit einer Spur begonnen werden, denn das erfordert ein hohes Abstraktionsvermögen und überfordert in den meisten Fällen die Malenden. Wird ein Bild mit einer Spur begonnen, so soll die erste spontane Idee ausgearbeitet werden, ganz egal wie banal oder blöd sie vielleicht ist. Es ist möglich die Ausarbeitung mit einer anderen Farbe zu machen. Die Größe und die Form der Spur soll nicht verändert werden.
Einstieg über Farbklecks: Es wird mit einen Klecks in einer ausgesuchten Farbe begonnen, der wachsen darf, bis die Malende etwas darin erkennt / damit assoziiert.
Der Einstieg über eine Spur und über den Farbklecks sollte nur mit Malenden gemacht werden, die bereits mit dem begleiteten Malen vertraut sind. Gerade diese Methoden lassen sehr stark die „inneren Bilder“ aufs Papier und können sehr wirksame Bilder hervorbringen. Bilder, die die Malenden in ihrer persönlichen Entwicklung weiterbringen. Bilder, die unter Umständen auch schmerzhaft sein können. Oder befreiend.
Bei mir im Atelier werden die Bilder gewürdigt, aber nicht gelobt.
Das hört sich erstmal ganz schön sonderbar an, hat aber durchaus seinen Sinn.
Wird ein Bild besonders gelobt, zumeist ja für ein positives Motiv, versucht das Kind immer mehr dieser „schönen Bilder“ zu produzieren. Die Themenwahl wird dadurch eingeschränkt. Es traut sich nicht (mehr) auch Bilder zu malen, die keinen schönen Inhalt haben.
Gerade für solche Bilder soll aber das Atelier den Raum geben, auch die unschönen Seiten des Kinderlebens dürfen hier aufs Papier.
Darüber hinaus wird eine Erwartungshaltung aufgebaut, das Kind lauert regelrecht auf mein nächstes Lob. Bleibt das aus, so erfolgt der Umkehrschluß „mein Bild ist nicht gut“.
Anstatt mit einem Lob in der Form: „Das ist aber schön geworden!“, wird mit einer Aussage wie „das war ganz schön viel Arbeit!“ oder „da hast du dich aber sehr angestrengt!“ das Tun des Kindes anerkannt.
Wie wirkt das Bild auf mich?
Auch hilfreich sind Aussagen darüber, wie das Bild auf mich wirkt: „Das macht mich richtig fröhlich!“ oder auch „das macht mir Angst!“. Das beschreibt nur meine Gefühle. Die des Kindes dürfen und können völlig anders sein. Hat es beispielsweise ein beeindruckendes Monster gemalt, darf ich sagen „das macht mir richtig Angst“. Für das Kind kann dieses Monster dabei dann doch ein hilfreiches Wesen sein: „Gell, der sieht gefährlich aus, der passt in der Nacht auf mich auf, dass mir niemand was tut! Ich habe einen Beschützer, der sogar Dir Angst macht“.
Gerade in Gruppen ist darauf zu achten, dass die Kinder ihre Bilder auch nicht gegenseitig in der oben beschriebenen Form loben oder kritisieren.
Die Bilder bleiben im MalAtelier und werden den abholenden Eltern nicht gezeigt. Erst zum Abschluss eines Kurses, trifft das Kind, das die Bilder gemalt hat, die Auswahl, welche davon es mit nach Hause nehmen möchte.
So können die Kinder im geschützten Rahmen auch Themen bearbeiten, die sie beschäftigen, die aber nicht als schön im landläufigen Sinn gelten. Ob nun Eifersucht auf ein Geschwister, Trennungsängste, Trauer, Mobbing oder Einsamkeit: Die Palette der kindlichen Themen ist breit und sollte ihren geschützten Raum erhalten.
Was bringt das begleitete Malen für die kindliche Entwicklung?
Dürften sich die Kinder beim Malen völlig frei entwickeln, so wäre begleitetes Malen fast unnötig.
Arno Stern hat es als Erster erforscht, die Malentwicklung der Kinder verläuft weltweit, wenn sie nicht beeinflusst wird, nach einem gewissen Schema. Sie beginnt mit den Urformen und endet mit der Entwicklung der perspektivischen Darstellung, etwa im 13. Lebensjahr. In dieser ganzen Zeit, ist das Malen weit mehr als nur ein netter Zeitvertreib. Malen ist ein wichtiges nonverbales Ausdrucksmittel. Malen ist Bestandteil einer ganzheitlichen Entwicklung und fördert die Integration von Körper und Seele. Malen schult die Wahrnehmung. In diese Entwicklung wird jedoch immer wieder eingegriffen. Angefangen vom gut gemeinten „Ich zeig dir, wie man ein Haus malt“, bis hin zu schulischen und vorschulischen Aufgabenstellungen, bei denen das Malen nach Motivvorgaben zur rein feinmotorischen Übung entfremdet wird. Dabei muss gar nicht mal die ganze Fördermaschinerie in Bewegung sein, die Auswüchse in Form von „Malen wie die Großen“ und ähnlicher Veranstaltungen enthält, in denen Kinder nach dem Techniken berühmter Künstler malen lernen sollen. Schon das ganz „normale“ Ausmalbildchen anmalen oder auch die Vorgabe „malt ein Frühlingsbild“ lässt keinen Raum für die eigenen Ideen und Bilder. „Was soll ich denn jetzt ein Frühlingsbild malen, wo doch beim Nachbarn gerade so ein toller, großer Bagger rumfährt“, mag sich da so manches Kind denken. Bei vielen Kindern führt dies recht schnell dazu, dass Malen außerhalb des schulischen Pflichtrahmens, gar nicht mehr (freiwillig) gemacht wird. Frustration macht sich breit – „Ich kann das nicht!“. Vergleiche mit den Bildern anderer Kinder, die in der Entwicklung schon ein Stück weiter sind, verstärken diesen Frust. Beim begleiteten Malen bietet das Atelier einen Schutzraum, in dem die eigenen Bilder zu ihrem Recht kommen und dem Entwicklungsstand entsprechend gemalt werden dürfen.
„Jeder malt so, wie er kann und will!“.
Dort ist die eigene Entwicklung beim Malen möglich, auch wenn die Einflüsse von Schule und Umwelt immer wieder spürbar werden. Kommen Erwachsene ins Atelier, so ist ganz schnell zu erkennen, wann sie mit ihrer kindlichen Malentwicklung „aufgehört“ haben, an genau dem Punkt, geht es dann im begleiteten Malen weiter.
Betrachten wir den Malvorgang als den Weg, das Bild als das Ziel. Im künstlerischen Malen habe ich ein fertiges Bild im Kopf, noch bevor ich zum Pinsel greife. Manchmal entwickelt es sich auch hier beim Malen weiter und in andere Richtungen, aber im Allgemeinen steht das Ziel fest.
Bilder, die im begleiteten Malen entstehen, entwickeln eine Eigendynamik. Sie dürfen, ja sollen sich erst beim Malprozess entwickeln. Deshalb wird das Bild auch nicht konstruiert oder vorgemalt, es soll rausdürfen, was aufs Papier will. Wenn die Malende gut im Kontakt mit ihrem Bild ist, kommen Themen an die Oberfläche, die ganz dicht unter der Bewusstseinsgrenze liegen.
In diesem Weg, im Malprozess, liegt die eigentliche Arbeit an der Persönlichkeit. Beim Malen kannst Du Dich selbst wahrnehmen und erfahren. Ist das für mich so stimmig? Oftmals werden dabei Bilder, die eigentlich ‚richtig‘ sind, als unstimmig empfunden und umgekehrt. Die Malbegleiterin macht auf solche Unstimmigkeiten aufmerksam und hinterfragt sie. Sie erkennt Vermeidungsverhalten und typische Verhaltensmuster. Am Bild kann jederzeit verändert und nachgespürt werden, wie sich diese Veränderung anfühlt.
Dabei ist es unglaublich, wie schwer es fallen kann, eine Veränderung zu malen, die eigentlich ganz logisch und schlüssig ist. Und wenn sie dann gemalt ist, fühlt sich das sehr gut und stimmig an. Aber allein, wäre die Malende nie auf die Idee gekommen, das so zu malen.
Malen und kreatives Gestalten sind ein wesentlicher Beitrag zur ganzheitlichen Förderung von Kindern und Jugendlichen. Besonders das begleitete Malen, aber auch freies Malen fördert viel mehr Kompetenzen, als auf den ersten Blick zu sehen sind.
Förderung der Fein- und Grobmotorik
Das große Papierformat an der Wand ermöglicht sowohl große, ausladende Bewegungen, als auch kleine und diffizile Ausführung von Details. So fördert es Grob- und Feinmotorik gleichermaßen.
Vollendung der natürlichen Malentwicklung
Die normale Malentwicklung von Kindern, wird durch Anforderungen in Elternhaus, KiTa und Schule unterbrochen. Das begleitete Malen oder freies Malen ganz ohne Vorgaben, gibt Kindern die Gelegenheit, diese Entwicklung fertigzustellen. Dabei entwickeln sie ihre eigene Darstellung von Räumlichkeit, die wichtig ist für die Vernetzung der beiden Hirnhälften.
Förderung von Stille und Konzentration
Im Malatelier stellt sich eine konzentrierte und ruhige Atmosphäre ein. Die Malleiterin stellt diese andernfalls her und achtet darauf, dass sie eingehalten wird. Auch unruhige Kinder werden an die Stille herangeführt und lernen diese zu ertragen und zu genießen.
Sprache und Kommunikation
Das Gespräch am Bild fördert die Kommunikationsfähigkeit. „Erzähl mir was über dein Bild!“ beinhaltet, dass das Kind eine Geschichte mit den erforderlichen Hintergründen vollständig vermittelt. Das Kind lernt, wichtige von unwichtigen Informationen zu trennen.
Beziehungen / soziale Kompetenzen
Durch das Arbeiten in der Gruppe mit begrenzt vorhandenem Material ist Rücksichtnahme und Absprache unverzichtbar. Es entsteht eine Beziehung zwischen den malenden Kindern untereinander und zur Malleiterin.
Hilf mir es selbst zu tun!
Das Malen hilft dabei, eigene kreative Lösungen zu finden. Vermeintliche Fehler führen zu oft überraschenden Lösungen.
Kreative Lösungsansätze zur Verarbeitung schwieriger Lebenssituationen
In der Arbeit an den eigenen Bildern können schwierige und belastende Situationen auf Papier gebracht werden. So können Kinder ihre Probleme thematisieren und lösen.
Möglichkeit neue Verhaltensmuster auszuprobieren
Wir gehen davon aus, dass sich jemand beim Malen so verhält, wie auch im sonstigen Leben. Auf dem Papier können Kinder neue Verhaltensmuster spielerisch ausprobieren und einüben.
Unterstützung des Selbstwertgefühls
Die Würdigung der Leistungen und das direkte Erleben der eigenen produktiven Kreativität stärkt das Selbstwertgefühl der Kinder. Wow – dieses Bild habe ich selbst gemalt!
Eigene Aktivität statt passivem Konsum
Gerade im Medienzeitalter werden schon Kinder mit vorgegebenen Bildern überflutet. In Büchern, TV oder Computer/Spielkonsole ist die Bildsprache von Erwachsenen vorgegeben. Malen setzt eigene Bilder dagegen und bringt sie zum Ausdruck. Eine Bastelkiste kann mit wenig Aufwand selbst gemacht werden und sollte jedem Kind zur Verfügung stehen.
Das Gefühl der Trauer hat wahrscheinlich jeder von uns schon in irgendeiner Form erlebt. Und nicht wenige dürften auch Aussagen wie ’nun muss aber mal gut sein‘ oder ‚das Leben geht weiter‘ gehört haben. Doch jeder verarbeitet Trauer anders. Gerade in unserem Kulturkreis wird Trauer gern unterdrückt, schon nach kurzer Zeit als ‚ungehörig‘ empfunden. Noch vor einigen Jahrzehnten war auch hier das Trauerjahr ganz selbstverständlich, mittlerweile soll möglichst schnell wieder alles gut sein.
Trauer im Bild verarbeitet
Aber Gefühle lassen sich nicht einfach abschalten. Auch wenn sie unterdrückt werden, gären sie dicht unter der Oberfläche weiter, lassen uns ein Stück Lebenslust verlieren oder äußern sich in körperlichen Symptomen.
Der Malraum, mit seiner Geborgenheit, bietet auch der Trauer Raum. Ob nun bewusste Trauerarbeit geleistet wird, oder im ganz normalen begleiteten Malen die unverarbeitete Trauer an die Oberfläche kommt, Bilder helfen dabei, dieses Gefühl anzunehmen und die Situation zu verarbeiten.
Ein paar meiner eigenen Erfahrungen damit habe ich hier und hier beschrieben.
Auch diese Bilder sind wieder so unterschiedlich wie die Malenden selbst. Doch eines ist allen gemeinsam – wenn sie aufs Papier dürfen, sind sie heilsam und hilfreich.
Kinder sollten möglichst oft die Gelegenheit erhalten, frei zu malen, ohne vorgegebene Motive oder Themen.
Ob nun im Malraum beim begleiteten Malen, in Kita, Schule oder zu Hause am Küchentisch, ein paar grundsätzliche Gesichtspunkte sollten wir im Gespräch mit den malenden Kindern berücksichtigen.
Gleich vorweg – die beliebte Frage „Was hast du denn da gemalt?“ sollte Tabu sein. Genau überlegt, signalisiert sie doch dem Kind „Ich kann nicht sehen, was das sein soll, du hast es nicht gut genug gemalt, ich kann es nicht erkennen!“. Dieses Problem ist in den Büchern von Rudolf und Marielle Seitz („Was hast du denn da gemalt?“ / „Kreative Kinder“) ausführlich besprochen.
Wenn das Kind fragt, was es malen soll, bietet es sich an mit einer Gegenfrage zu antworten „Was möchtest du denn malen?“ oder auch „Das was dir gerade einfällt!“
Sollte dann immer noch keine Idee da sein, kann beispielsweise nach der Lieblingsfarbe gefragt werden. Wenn auch dann noch keine Inspiration vorhanden ist, kann man weiter fragen, was denn diese Farbe hat, was ihm zu der Farbe einfällt.
Erzähl mir die Geschichte zu deinem Bild
Fängt ein Kind sofort an zu malen, kann man zunächst einmal beobachten. Wenn es wichtig ist zu wissen was gerade dargestellt wird, dann kann man fragen „Gibt es dazu eine Geschichte?“ oder „Erzähl mir die Geschichte dazu!“. Dabei ist aber auch unbedingt zu akzeptieren, wenn das Kind diese Geschichte nicht erzählen möchte. In dem Fall sollte weder nachgebohrt noch interpretiert werden.
Beim Malen selbst tauchen dann häufig Fragen oder auch Klagen auf, dass es irgendwas nicht malen könne. Auch hier helfen weitere Fragen dem Malenden, seine eigene Lösung zu finden.
Ein möglicher Beispieldialog wäre:
K: „Mal mir eine Katze, ich kann das nicht!“
E: „Was hat denn eine Katze alles?“
K: „Einen Kopf!“
E: „Dann fang mit dem Kopf an!“
Technische Hinweise sind nicht sinnvoll. Sowohl die Darstellung von Figuren, als auch die Perspektive sind Entwicklungsvorgänge, die vollständig durchlaufen werden müssen, damit ein Kind sie wirklich verinnerlicht. Genauso wie man Kinder mittlerweile nicht mehr auf die Füße stellt, wenn diese eigentlich krabbeln wollen und können, sollten sie auch beim Malen die Gelegenheit zur Entwicklung im eigenen Tempo erhalten.
Wie kann das Gespräch ablaufen?
Auf inhaltliche Aspekte darf durchaus eingegangen werden. Malt ein Kind beispielsweise ein Haus ohne Tür, so kann man mit einer offenen Frage darauf reagieren. „Hat das Haus keine Tür?“ Das bietet die Möglichkeit einer Erklärung, wenn sich die Tür beispielsweise auf der anderen Seite des Hauses befindet. Vielleicht wurde sie aber auch nur vergessen und kann mit diesem Hinweis noch eingefügt werden.
Sogenannte Setzungen motivieren zusätzlich: „Das macht dir Spaß!“. Stockt der Malprozess kann auch nachgefragt werden „Wie geht es weiter?“, „Was fehlt noch?“ oder auch „Kannst du das Bild so lassen?“. Gerade bei kleinen Kindern kann es auch notwendig sein, zu fragen, ob das Bild jetzt fertig ist und sie ein neues Blatt möchten. Ganz wichtig ist immer, dass das Sprechen über die Bilder echtes Interesse und Anerkennung zeigt. Denn nichts ist schlimmer, als ein pflichtbewusst dahingesagtes Lob.
Immer wieder wenn ich über das begleitete Malen erzähle, werde ich mit Vorstellungen davon, wie Kunsttherapie sein müsse, konfrontiert. Nun gibt es in der Tat recht unterschiedliche Richtungen in der Kunsttherapie, einige setzen sehr stark auf Symbolismen und Farbpsychologie. Ich selbst kann nur für das begleitete Malen nach Bettina Egger sprechen, deshalb beziehen sich alle nachfolgenden Erläuterungen ausschließlich darauf.
Die Bedeutung der Farben: Im begleiteten Malen wird den einzelnen Farben keine symbolische Bedeutung beigemessen. Die Farben werden in den Bildern so verwendet, wie sie in der Wirklichkeit auftreten. Schwarz ist Schwarz, weil damit irgendetwas Dunkles gemalt wird und nicht Symbol für depressive Gedanken. Es kann ein Bild in der Nacht spielen, dann ist der Himmel Schwarz oder Dunkelblau, weil Nacht ist. Das muss nicht bedrohlich sein. Rot ist Rot, die Farbe einer roten Blume oder eines roten Pullovers, kein Symbol für Aggressivität.
Die Bedeutung der Motive:
Im begleiteten Malen werden Metaphern gemalt. Metaphern erzählen eine Geschichte, die für den Malenden eine ganz individuelle Bedeutung hat. Diese Geschichte ist sehr persönlich und berührend und bewirkt dadurch eine Veränderung. Die Bilder werden gegenständlich, realistisch gemalt. Will der Malende beispielsweise Kraft schöpfen, so kann eine Situation gemalt werden, in der das Gefühl „ganz viel Kraft haben“ da war.
Nicht immer ganz einfach von den Metaphern abzugrenzen sind Symbole. Symbole sind allgemein anerkannte Darstellungen, z.B. ein Herz als Symbol für Liebe. Symbole zu malen ist, nach Bettina Egger, wirkungslos, weil uns ein Symbol nicht wirklich berührt. Symbole können jedoch im Lauf des Malens zu Metaphern werden, wenn beispielsweise das Herz ein konkreter Gegenstand wird, ein Sofakissen in Herzform oder ein Anhänger. Gibt es dazu dann noch eine Geschichte, kann das Bild wirken.
Auch hier wird immer wieder deutlich, wie stark es doch allgemein akzeptierte Vorstellungen gibt, was etwas zu bedeuten habe. Im begleiteten Malen wird diese symbolische Bedeutung ganz bewusst in Frage gestellt und zu einem neuen, tiefergehenden Sinn geführt.
Bei meinem Kollegen Raimund von Schwangerschaftserlebnis-Blog fand ich einen Artikel, in dem er eine Erfahrung mit Malen beschreibt. Ich stelle mir jetzt vor, ein solches Bild zu begleiten und daran zu erläutern, was es genau bedeutet, ein Bild zu klären.
‚Die Zeichenstifte ließen eine Mauer auf dem Papier entstehen, und davor ein Baum. Es gab noch ein paar Luftballons und fertig.‘
Hier setzt die Klärung an – ist das Bild so wirklich fertig? Was für eine Mauer ist das? Gehört die zu einem Gebäude? Ist es eine Gartenmauer? Hast Du sowas schonmal in echt gesehen? Und was hat es mit den Luftballons auf sich? Wo kommen die her? Gibt es dazu eine Geschichte? Möchtest Du mir die erzählen?
Sehr wahrscheinlich nimmt dieses Bild ab hier schon einen ganz anderen Verlauf, aber ich nehme jetzt mal die ursprüngliche Aussage:
‚ Natürlich war mir sofort klar, dass diese Mauer ein Hindernis in meinem Leben darstellen sollte und dass ich unbedingt und sofort drüber weg musste.‘
Eine Mauer ist eine Mauer!
Die Mauer wird als Symbol für ein Hindernis betrachtet. Wir sind es gewohnt Darstellungen symbolisch anzuschauen. Im begleiteten Malen ist eine Mauer eine Mauer. Alle Möglichkeiten sind offen. Begibt sich mein Malender auf diese symbolische Ebene, ist es meine Aufgabe, ihn an das Bild zurückzuholen, weg von der als allgemeingültig betrachteten Interpretation ‚Hindernis‘. Dabei handelt es sich um das, was die Gestalttherapie als ‚Introjektion‘ bezeichnet, das ungeprüfte Übernehmen von Normen und Vorstellungen. Am nächsten Morgen kommt Raimund zu genau dieser Erkenntnis:
‚Beide Gedanken waren für mich völlig überraschend. Und sehr interessant! Klar, das Bild zeigte einfach eine Mauer. Wieso hatte ich sofort die Idee, über sie hinweg zu kommen? Ist es nicht erstaunlich, wie leicht man einer Annahme folgt ohne zu überprüfen, ob sie überhaupt stimmt? Ich hatte angenommen, dass diese Mauer ein Hindernis symbolisierte – ja, und warum nicht. Aber warum sollte es ein Hindernis sein, das vor mir lag und nicht eines, das ich endlich hinter mir hatte? Als ich am nächsten morgen aufwachte, hatte ich sofort und als allererstes zwei Gedanken, die glasklar vor mir standen: 1. Jede Mauer hat irgendwo ein Tor – warum also gehst du da nicht entlang bis du dieses Tor gefunden hast? 2. Wer sagt, dass du da rein willst? Vielleicht warst du endlich draußen?‘
Wäre dieses Malen begleitet gewesen, wäre genau das schon viel früher, in der Arbeit am Bild eingetreten. Welche Geschichte uns die Mauer dann wohl noch erzählt hätte?