Herr Eichhorn und Frau Schmetterling
(Ein nicht ganz ernstgemeintes Märchen von Herrn Eichhorn und Frau Schmetterling)
Es war einmal… so fangen Märchen an. So auch unseres. Gewöhnlich enden Märchen bei der Heirat. Unseres fängt da erst an. Herr Eichhorn und Frau Schmetterling liebten sich aus vollem Herzen. Sie lebten miteinander in ihrem kleinen Häuschen, harmonisch und friedlich und frönten neben ihrer Liebe auch ihren Hobbys. Beide waren unter anderem leidenschaftliche Leser. Sie liebten ‚ihre‘ Bücher und teilweise auch die des Anderen. Ausgelesene Bücher wanderten von einem Nachttisch auf den anderen.
Frau Schmetterling allerdings war eine sehr viel schnellere Leserin als Herr Eichhorn. Ihr Bücherstapel auf dem Nachttisch schmolz dahin wie Schnee in der Frühlingssonne, während sich bei Herrn Eichhorn der immer höher wachsende Stapel schon ganz gefährlich bog. Frau Schmetterling kaufte immer neue Bücher, las sie und war sich ziemlich sicher, dass ein Teil davon Herrn Eichhorn ohnehin nicht interessieren würde. Sie stellte diese Bücher direkt ins Regal. Und legte sie quer auf die Regalbretter, vor die sorgsam aufgestellten Bücher, weil der Platz zum Stellen schon gar nicht mehr ausreichte. Irgendwann lag vor allen stehenden Büchern auch ein immer höher werdender Bücherstapel. „Das sieht nicht schön aus“ dachte sich Frau Schmetterling. „Und es ist unpraktisch, weil man gar nicht mehr richtig erkennen kann, welche Bücher hinter den Stapeln stehen.“
Ein neues Buchregal musste her. Endlich genug Platz für all die schönen Bücher. Kaum ein Jahr war vergangen, da war auch das neue Regal voll. Ein weiteres hielt Einzug in das kleine Häuschen, passte gerade noch so an die Wand. Dann war auch das voll, doch immer neue Bücher kamen dazu. Nicht zuletzt, weil Herr Eichhorn in der Zwischenzeit begonnen hatte, sich für „Haselnussschnitzerei des 19. Jahrhunderts“ zu interessieren. Wie es nunmal Eichhörnchenart ist, kaufte er alles, was es zu diesem Thema zu kaufen gab.
Frau Schmetterling fing jedoch an, sich nicht mehr wohlzufühlen in dem vollgestellten kleinen Häuschen. „Ach, überall Bücherregale, ich kann meine Flügel gar nicht mehr unbeschwert ausbreiten und lustig umherflattern, ohne an Regale zu stoßen. Und ich komme überhaupt nicht mehr hinterher mit staubwischen. All der Staub, der auf den Büchern liegenbleibt, legt sich auf meine Flügel und beschwert sie.“ Sie war unglücklich. Und missmutig. Beschloss zu guter Letzt, sich künftig Bücher lieber auszuleihen. Zumindest solche, die den Herrn Eichhorn ja ohnehin nicht interessierten. Doch Herrn Eichhorns Bücherstapel wuchsen weiter und weiter und weiter. Denn Eichhörnchen haben ja keine Flügel, die sie ausbreiten wollen. Sie schlüpfen in ihren engen Kobel und fühlen sich darin wohl. Was könnte es für ein echtes Eichhörnchen schöneres geben, als diese Enge, begrenzt von Büchern.
Frau Schmetterling wurde immer unglücklicher, je mehr die Bücherstapel wuchsen. Schon lang hatte sie keine eigenen mehr gekauft, doch trotzdem wurden die Regale immer voller. Die Bücher breiteten sich immer weiter aus, belagerten Tische und Schränke. Schweren Herzens begann Frau Schmetterling ihre Bücher durchzuschauen, ob da nicht welche dabei wären, die sie weggeben könnte. Vielleicht in die Bücherei, damit sie sie nochmal lesen könnte, wenn der Wunsch danach dann übermächtig würde. Zaghaft zog sie die ersten Bücher aus den Regalen, gab ein Täschchen davon weg. Und siehe da – es war gar nicht schlimm. Dermaßen ermutigt, begann sie immer kritischer auszusortieren, immer dann, wenn die Regale überquollen. Herr Eichhorn füllte entstehende Lücken schnell wie der Blitz mit seinen Fachbüchern.
Irgendwann, nach einigen Jahren, standen in den Regalen fast nur noch Eichhörnchenbücher. Frau Schmetterling war treue Bibliothekskundin geworden, kaufte nur noch sehr selten eigene Bücher. Irgendwann war der Tag gekommen: Es gab keine Bücher mehr, die Frau Schmetterling hätte weggeben wollen, es gab aber auch keinen Platz für ihre Flügel.
Wie das ausging? Das überlasse ich eurer Fantasie…